282 Preußische innere Politik. Anfang 1868. 1867
Aber nur zu bald sollte Bismarck erfahren, daß die
Zeit des nationalen Enthusiasmus im Schwinden begriffen
war, daß nur seine letzten Wellen noch einige Einwirkung
auf die Landtagswahlen geübt hatten. War doch schon
mehr als ein Jahr seit den herrlichen Jubeltagen verflossen,
die Aufregung begann sich zu legen, die alten Lebensgewohn-
heiten, die Parteistimmungen und Particularinteressen kamen
wieder zum Vorschein. Überhaupt war es in Deutschland
mit zuverlässigen Mehrheiten und vollends mit ministeriellen
Parteien schwach bestellt. Hier fehlte der Grund der straffen
Parteidisciplin, der in England den Ministern den Gehorsam
der Majorität sichert, die Ernennung der Minister durch die
Majorität, die mit einer Niederlage des Ministeriums das
Ende der eignen Herrschaft erlebt. So fand im deutschen
Parlament der deutsche Individualismus fröhliche Entfaltung.
Der Ehrgeiz des deutschen Abgeordneten ging sehr selten dahin,
ein Stück der Regierung zu werden, sondern er strebte als
unabhängiger Charakter die Regierung zu beaussichtigen, jede
ihrer Vorlagen zu kritisiren und zu amendiren, sie zu billigen,
so weit sie mit den eignen Ansichten und Interessen überein-
stimmten, und sie sonst zu verwerfen, mochte die Ablehnung
noch so sehr die in sich zusammenhängende Politik eines
übrigens hochgeschätzten Ministers stören. Der Drang gewissen-
hafter Gründlichkeit, der jeden etwas erheblichen Gesetzentwurf
mit einer Masse einander kreuzender Amendements bedeckte,
führte ohne Frage in vielen Fällen wichtige Verbesserungen
herbei, auf der andern Seite zerriß er aber auch recht häufig
die innere Einheit größerer Gesetze und hinterließ damit den
kommenden Geschlechtern schwere Aufgaben der juristischen
Auslegung.