Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Sechster Band. (6)

304 Preußische innere Politik. Anfang 1868. 1865 
Eine im Hause am 20. Mai 1865, also in dem glühend- 
sten Höhenpunkte der Conflictszeit, gehaltene Rede des Ab- 
geordneten Twesten, die mit schonungsloser Schärfe das Ver- 
halten der preußischen Justizbehörden und Gerichte angriff, 
und bald nachher eine Rede des Abgeordneten Frentzel, welche 
schwere Anklagen gegen den Königsberger Polizeipräsidenten 
erhob, veranlaßte den damaligen Justizminister Grafen zur 
Lippe, die Staatsanwaltschaft zu gerichtlicher Verfolgung der 
beiden Herren anzuweisen. Allein bei beiden erfolgte Frei- 
sprechung sowohl in der ersten als in der zweiten Instanz, 
weil der Artikel 84 der preußischen Verfassung erkläre, daß 
die Mitglieder der beiden Häuser wegen ihrer Abstimmungen im 
Hause niemals, wegen ihrer darin ausgesprochenen Meinungen 
nur innerhalb des Hauses auf Grund der Geschäftsordnung 
zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Auf die von dem 
Staatsanwalt eingelegte Berufung kam die Sache an die 
höchste Instanz, das Berliner Obertribunal, welches durch 
Urtheil vom 29. Januar 1866 die Meinungsfreiheit der Ab- 
geordneten anerkannte, dann aber weiter erläuterte, unter dem 
Worte Meinung sei das Ergebniß eines Denkprocesses zu 
verstehn, keineswegs aber die Behauptung von Thatsachen, 
die, wenn sie zum Zweck der Verläumdung oder der Er- 
regung von Haß und Verachtung geschehn sei, unter das 
Strafgesetz und die strafrechtliche Verfolgung fiele. Das 
Urtheil zweiter Instanz wurde hienach aufgehoben, und die 
Sache zu erneuerter Verhandlung an die erste Instanz 
zurückgewiesen. 
Sofort stellte Hoverbeck am 6. Februar im Hause der 
Abgeordneten den Antrag, das Haus wolle das Verfahren 
der Staatsanwaltschaft und des Obertribunals für eine Ver-
	        
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