Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Sechster Band. (6)

330 Italienische und spanische Wirren. 1867 
Die Lage erschien eben ungewiß auf allen Seiten. Man 
konnte nicht wünschen, daß Italien in volle Abhängigkeit von 
Frankreich geriethe, man war aber auch bei Victor Emanuel's 
bekannter Liebe zu Napoleon keineswegs sicher, ob er nicht 
plötzlich mitten im Kampfe von dem preußischen Freunde 
hinweg zu dem französischen Gegner überträte, und endlich, 
man fühlte sich verpflichtet, den religiösen Gefühlen der 
deutschen Katholiken in Bezug auf eine würdige Stellung 
des Papstes Rücksicht zu schenken. So war man zufrieden, 
als Italien den Schlag von Mentana hinnahm, ohne seiner- 
seits zum Schwerte zu greifen, und König Wilhelm verhieß 
am 15. November dem preußischen Landtage in seiner Thron- 
rede, die Regierung werde bemüht sein, einerseits den katholischen 
Wünschen für die Unabhängigkeit des Papstthums gerecht zu 
werden und andrerseits den Pflichten zu genügen, welche 
für Preußen aus den politischen Interessen und internationalen 
Beziehungen Deutschlands erwachsen. 
Die Frage war jetzt, ob die große europäische Conferenz 
das richtige Mittel zur Lösung des Problems sein würde. 
Bismarck war nicht der Meinung. Zunächst kam die 
Einladung nicht von den streitenden Parteien; es wurde bald 
bekannt, daß Italien nur aus Furcht vor Frankreich zustimmte, 
aber im Stillen bei den andern Höfen gegen den Congreß 
arbeitete, und ebenso erfuhr man, daß der Papst dem Con- 
gresse jede Befugniß zu einer Entscheidung absprach und die 
Beschickung desselben nur zu dem Zwecke verhieß, gegen die 
kleinste Schmälerung des alten Kirchenstaats kräftige Ver- 
wahrung einzulegen. Und wie stand es bei den Höfen der 
Großmächte? Osterreich war des Wunsches voll, dem Papste 
das Concordat von 1855 zu kündigen, war also wenig
	        
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