92 Versuch eines Dreibundes. 1869
schmeicheln, daß Preußen irgend eine Verletzung seiner Inter-
essen aus Furcht vor einem französischen Kriege sich gefallen
lassen würde. Ich will hier einen mir in Abschrift vor-
liegenden Brief Bismarck's aus dieser Zeit einrücken, weil
darin seine Stellung gegenüber Frankreich nicht bloß in der
belgischen Sache, sondern in der ganzen Zeit von 1866 bis
1870 auf das Bestimmteste charakterisirt ist.
„Vor allem“, schrieb er, „darf in Paris die Meinung
nicht aufkommen, daß wir den Krieg fürchten. Wir sind fern
von jeder Überhebung, wie von jedem Wunsch nach Krieg;
aber wir haben auch nach gewissenhafter Prüfung unserer
Kräfte, wie der des eventuellen Gegners die Überzeugung,
daß wir einem Kriege mit Frankreich gewachsen sind, und
daß, wenngleich die Entscheidung in ciner höhern Hand liegt,
die Chancen des Sieges, menschlicher Weise zu reden, auf
unserer Seite liegen. Ein Krieg ist an und für sich stets
ein Unglück, aber daß er ein größeres Unglück für uns als
für Frankreich wäre, daß wir mehr Ursache ihn zu vermeiden
hätten, als Frankreich, ist ein Gedanke, den wir hier nicht
verstehn. Dies Bewußtsein, im Verein mit einer aufrichtigen
Friedensliebe, bestimmt unsere ganze Haltung Frankreich gegen-
über; darum legen wir auch auf die wechselnden Phasen in der
Stimmung selbst der leitenden Kreise in Frankreich und auf das
zeitweilige Hervortreten feindlicher Velleitäten weniger Gewicht.“
Aus dieser, in ihrer Kraft ruhenden Friedensliebe ergab
sich für Preußen in der belgischen Frage ein sehr einfaches
Verfahren: vollständiges Schweigen. Der König blieb un-
zugänglich; Bismarck, von allen Gesandten angegangen, gab
inhaltlose oder ausweichende Antworten: wir hoffen, daß es
Friede bleibt; wir warten den Verlauf ab und werden je