108 Sieg der liberalen Tendenzen. 1869
Der Sieg in einem solchen Kampfe würde ein maaßloses
Übergewicht der französischen Macht ergeben. Der Minister-
rath erhob keine Einwendung gegen ein Defensivbündniß,
welches keine Feindseligkeit gegen die Ergebnisse des Kriegs
von 1866 und gegen die deutsche Einheit zum Zwecke haben
dürfe, und stellte die weitere Bedingung, daß Frankreich seine
Truppen aus Rom abrufe und in Bezug auf diese Stadt
den Grundsatz der Nichteinmischung anerkenne.) In den
letzten Tagen des August wandte sich Menabrea nach Wien
mit der Bitte, daß Osterreich bei Napoleon die baldige
Räumung Roms erwirke und dadurch Italien die Zeichnung
des Bundesentwurfs ermögliche. Beust war gerne bereit
und sandte auf's Neue den Grafen Bitzthum nach Paris.
Allein bereits hatte sich Napoleon's Krankheit verschlimmert,
und der Graf konnte kein Gespräch mit ihm erlangen. Bei
dem Minister Fürsten Latour war nach dessen den Italienern
abgeneigter Gesinnung vollends nichts durchzusetzen, und
Vitzthum kehrte unverrichteter Dinge nach Wien zurück. Es
erfolgte dann eine italienische Erklärung, daß man im Übrigen
gegen den Bundesvertrag keine Einwendung erhebe, aber wie
Osterreich sich für den Fall eines Krieges die Neutralität
offen gehalten habe, so werde für Italien die Theil-
nahme an einem Kriege erst nach der Räumung Roms
möglich sein.
Nach seiner Herstellung besprach Napoleon die Frage
mit Lavalette und Latour. Lavalette, sonst, wie wir wissen,
ein Freund Italiens, war hier doch der Meinung, ein solches
Bündniß sei für Frankreich von sonderbarer Bedeutung.
Wir würden, sagte er, auf jede selbständige Entschließung
1) Vgl. Guiccioli, Quintino Sella I. 242 ff.