112 Sieg der liberalen Tendenzen. 1869
fehlte. „Es konnte“, schrieb er, „nach 1866 keinem Öster=
reicher leicht werden, einen Vertreter unseres Königs erscheinen
zu sehn, aber niemand hat mich dies fühlen lassen. Der
Kaiser war in seinem Wesen gegen mich unverändert, und
wer seine Art so genau kennt, wie ich, der konnte keinen
Augenblick im Zweifel sein, daß er mir mit aufrichtiger Wärme
entgegen kam.“ Auch die Erzherzoge waren freundlich, und
namentlich Erzherzog Albrecht, als bester Sachverständiger,
bezeugte dem Kronprinzen, daß er (der Kronprinz) als Soldat
seine Schuldigkeit gethan, und daß jedermann dies anerkennen
müsse. Der liberale Minister Giskra sprach seine Freude
aus, in dem Besuche die Anbahnung einer bedeutungsvollen
Annäherung zu erblicken; der Erfolg der Sendung werde
sich allmählich fühlbar machen. Auch Graf Beust denke nicht
mehr an Rache, sondern nehme das Geschehene als Geschehenes
hin. In der That verwahrte sich Beust lebhaft gegen Bismarck's
Klage, daß er die Presse in preußenfeindlichem Sinne beein-
flusse, setzte dann aber die Bemerkung hinzu, was die süd-
deutsche Frage betreffe, so sei er der Entwicklung derselben
keineswegs feindlich gesinnt; als österreichischem Minister liege
ihm aber an erster Stelle die Pflicht ob, für die Wohlfahrt
der österreichischen Kronländer zu sorgen, und deshalb müsse
er jede Entwicklung der süddeutschen Frage, die diese Wohl-
fahrt gefährden könne, mit sscharfem Blicke überwachen.)
Dieser Kußerung, sowie der damaligen Lage der Dinge über-
haupt entsprach dann die Thatsache, daß Kaiser Franz Joseph
1) Beust hatte in der That in den Delegationen August 1869 seine
Erklärung vom März 1867 wiederholt, daß die preußisch-süddeutschen
Schutz= und Trutzbündnisse mit dem Prager Frieden in Widerspruch
ständen.