146 Klerikale Erhebung. 1868
erfordere den Besitz des Kirchenstaats? Hätte 1867 noch Oster=
reichs Herrschaft in Italien und die päpstliche im Kirchenstaat
bestanden, so wäre bei dieser Kriegserklärung eine öster-
reichische Armee in den Kirchenstaat eingerückt: wäre das eine
Stärkung der kirchlichen Freiheit gewesen?
Jetzt, des Kirchenstaates beraubt, war der Papst frei, und
nach seiner Weise im Kampfe stets zum Vordringen gereizt,
beschloß er den lange erwogenen Schritt zu thun, der zu der
vollständigen und endgültigen Sanction seines Standpunkts
führen sollte: am 29. Juni 1868 berief er ein ökumenisches
Concil, eine Versammlung aller katholischen Bischöfe der Erde,
auf seinen Marientag, den 8. December 1869, in den Vatican.
Die Bulle sagte nichts über die dem Concil zu stellenden
Aufgaben, oder vielmehr, sie sagte zu viel, das Concil werde
alle Schäden der sündhaften Zeit heilen. Dafür erregte das
von Pius selbst begründete und dotirte Leibjournal, die Civilta
cattolica, redigirt von zwei Jesuiten, controlirt täglich vom
Papste selbst, großes Aufsehn durch eine eingehende Besprechung
der berühmten Bulle Bonifaz VIII. von 1302, nach welcher
die Könige die Vollmacht zur Regierung vom Papste erhalten
und sie bei Strafe der Absetzung nach dessen Wink und
Befehl zu führen haben, eine Bulle, die durch ein Concil des
16. Jahrhunderts bekräftigt war, und ohne Zweifel durch
das bevorstehende Concil nochmalige Sanction erhalten sollte.
Das Aufsehn, welches diese Artikel erregten, war groß; sie
wurden bald nachher amtlich verläugnet, um so mehr
befremdete aber das fortgesetzte Geheimniß, womit in Rom
die emsige Ausarbeitung der für für das Concil bestimmten
Vorlagen betrieben wurde. Indessen wurde es allmählich
doch bekannt, daß es sich vornehmlich um die Erklärung der