1868 Waldeck's Antrag auf Diäten. 7
Bismarck wandte ihm ein, es sei nicht verständig, an der
erst vor einem Jahre beschlossenen Verfassung jetzt schon zu
rütteln, zumal an diesem Artikel, der recht eigentlich als
Compromiß zwischen Regierungen und Reichstag die Ver-
fassung erst ermöglicht hätte. Was aber den Süden beträfe,
so verkenne Waldeck, der stets nur in seinen Doctrinen lebe,
auch hier wieder die Wirklichkeit der Dinge. Der Süden,
führte er aus, sträubt sich gegen die vollständige Verbindung
mit uns, nicht weil lwir nicht liberal genug sind, sondern
weil wir ihm viel zu liberal sind. Das einzige Baden ist
dort liberal und dieses begehrt eifrig den Eintritt in den
Bund. / Die liberalen Süddeutschen also wollen sich an-
schließen; die sich nicht anschließen wollen, sind die reactionären
Parteien. Ich will sie nicht näher bezeichnen, die jüngsten
Wahlen in Süddeutschland haben sie klar vor Augen gestellt,
und es gehört eine grenzenlose Unwissenheit in Bezug auf
die Thatsachen dazu, um dies Verhältniß in Abrede zu stellen.
Wenn wir diesen Parteien, die in Süddeutschland die Ober-
hand haben, gewisse Bürgschaften, die in dem gepriesenen
Osterreich vielleicht jetzt zu Falle kommen, geben wollten
— und das wäre keine liberale Maßregel — dann würden
wir vielleicht eine süddeutsche Majorität für den Anschluß
gewinnen können.
So starken Eindruck diese schlagende Darlegung der
wirklichen Sachlage machte, so wirksam die feste Haltung der
Regierung die Gemüther bewegte, so erlangte sie schließlich
für die Ablehnung des Antrags in einem dußerst schwach
besetzten Hause nur eine Mehrheit von 97 gegen 92 Stimmen.
Fast alle Nationalliberalen und selbst einige Altliberalen
hatten sich auf Waldeck's Seite gestellt.