8 Beginn des Reichstags. 1868
Ungleich tiefer griff gleich am folgenden Tage die Be-
wegung, als Lasker mit 45 Genossen den Antrag auf Erlaß
eines Bundesgesetzes einbrachte, durch welches die Mitglieder
der Landtage und Kammern in den deutschen Einzelstaaten für
unverfolgbar wegen jeder in ihrem Beruf gethanen Kußerung
erklärt wurden.
Wir haben früher gesehn, wie Lasker im vorigen Jahre
denselben Grundsatz für Preußen im preußischen Landtag
durchzusetzen suchte, die große Mehrheit des Hauses der Ab-
geordneten dafür gewann, dann aber im Herrnhause eine
fast einstimmige Zurückweisung erfuhr. So jeder Hoffnung
auf einen Erfolg in der preußischen Gesetzgebung beraubt,
hatte er sich entschlossen, die große Frage in den Reichstag
zu bringen.
Die sachlichen Gründe Für und Wider wurden in langer
und interessanter Debatte auf's Neue entwickelt, den ent-
scheidenden Mittelpyunkt des Streites bildete an dieser Stelle
aber der Zweifel; ob der Reichstag besygt sei, durch einen so
tief einschneidenden Beschluß das Verfassungsrecht der Einzel-
staaten zu ändern. Das von uns begehrte Gesetz, erklärte
Lasker, würde kein Eingriff in die Landesverfassungen sein,
sondern lediglich eine Änderung des Strafrechts, welches
Gebiet so ausdrücklich wie möglich unserer Competenz über-
wiesen ist. Die Bundesgewalt könne das ganze geltende
Strafrecht einer neuen Bearbeitung unterziehn, um so viel
mehr also auch einzelne Handlungen, die bisher für straf-
würdig gessolten, für rechtmäßig und deshalb für nichtverfolg-
bar erklären. Wenn ein Landesgesetz in gewissen Fällen den
Abgeordneten gerichtlich zur Rechenschaft ziehe, so geschehe
das, weil das dort geltende Strafgesetz seine Handlungen