1869 Annahme des Camphausen'schen Systems. 179
Es war ein Wendepunkt von entscheidender Wichtigkeit
für die augenblickliche Lage der deutschen Politik. Das em-
pfand man um so mehr, als keiner der Freunde oder der
Gegner des Gesetzes eine Ahnung davon hatte, wie bald eine
ungeheuere Sturmfluth die deutsche Nation zu einer voll-
ständigen Umgestaltung ihres Daseins emporführen würde.
Einstweilen hatte die Ausfüllung des preußischen Deficits
ein verändertes Verhältniß zwischen Regierung und Volks-
vertretung weniger im preußischen Abgeordnetenhause, desto
mehr aber im norddeutschen Reichstag zur Folge. Denn im
Landtag war ein principieller Gegensatz nicht bloß auf dem
Gebiete der Finanzen vorhanden gewesen; er bestand auch
in der Gesetzgebung, wo weder Eulenburg's Kreisordnung
noch Mühler's Schulgesetz den Beifall der Mehrheit fand
und beide in dieser Session nicht zum Abschluß gelangten.
Dagegen war für den Reichstag mit dem Verschwinden des
preußischen Deficits und dessen Rückwirkung auf den Bundes-
haushalt jede Veranlassung zu neuem Hader erloschen, so
daß jetzt das Bundesbudget für 1871 so leicht und rasch
wie möglich festgestellt wurde. Was aber die Gesetzgebung
des Bundes betraf, so haben wir von Anfang an unter Bis-
marck's und Delbrück's Leitung zwischen Bundesrath und
Reichstagsmehrheit eine volle Übereinstimmung in der all-
gemeinen Richtung wahrgenommen, die natürlich gelinde oder
scharfe Differenzen im Einzelnen keineswegs ausschloß. Jetzt,
nach der Beseitigung der finanziellen Schwierigkeiten, stand
für den am 14. Februar 1870 eröffneten Reichstag eine
äußerst fruchtbare Session bevor.
Die Thronrede kündigte gleich zu Anfang eine Vorlage
von größter Wichtigkeit an, den eben vollendeten Entwurf
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