202 Eindringen klerikaler Tendenzen in die franz. Regierung. 1870
Bei dem Ansehn, welches diese Gruppe in den höchsten
Kreisen genoß, war ihre offene Lossagung von dem Ministerium
keine Erleichterung seiner innern Politik.
Unterdessen leitete Graf Daru Frankreichs auswärtige
Beziehungen mit ruhiger und sicherer Hand. Er war ein
alter Parlamentarier, der zwanzig Jahre lang vor der napo-
leonischen Dictatar aus dem öffentlichen Leben zurückgetreten,
und erst bei den letzten Wahlen als liberales Mitglied wieder
im gesetzgebenden Körper erschienen war. Er nahm es ernst
mit dem Friedensprogramm seiner Partei, und ebenso ernst
mit der Selbständigkeit des verantwortlichen Ministeriums.
Der Kaiser fügte sich ihm in beiden Beziehungen um so
leichter, als er die Erhaltung des Friedens ebenso lebhaft
wie der Minister wünschte. Fürst Latour hatte den General
Fleury, also einen nahen Vertrauten Napoleon's, nach Peters-
burg geschickt, um dort im Allgemeinen bei Kaiser Alexander
französische Sympathien zu erwecken, vielleicht eine gemein-
same Action im Orient anzubahnen, und insbesondere die leidige
nordschleswigische Frage und den unvollzogenen Artikel fünf
des Prager Friedens in Erinnerung zu bringen. Bismarck
hatte dies mit voller Schärfe als unbefugte Einmischung
zurückgewiesen; und darauf Graf Daru dem General Fleury
größte Zurückhaltung zur Pflicht gemacht. Der Minister,
schrieb ein Begleiter Fleury's klagend an einen Pariser Freund,
bindet uns Hände und Füße; auf große Erfolge können wir
nicht mehr hoffen, und der Kaiser Napoleon läßt nichts mehr
von sich vernehmen; er scheint in völlige Gleichgültigkeit ver-
sunken zu sein und Alles den Ministern zu überlassen.
Dies trat noch greller bei einem weiteren Schritte hervor,
durch welchen Daru der europäischen Welt die Sicherheit des