1870 Gramont's völkerrechtliche Theorie. 293
Nicht viel günstiger wird man einen weiteren Schritt
Gramont's beurtheilen, mit dem er am 9. Juli die neu-
tralen Großmächte zu seiner Unterstützung gegen Preußen
aufrief. In seinem Rundschreiben erinnerte er daran, daß
Frankreich in der spanischen Sache nichts fordere, was nicht
aus den Grundsätzen des europäischen Völkerrechts folge. Im
Jahre 1831 habe der Sohn Louis Philippe's den belgischen,
1862 der Fürst von Leuchtenberg und ebenso der englische
Prinz Alfred den griechischen Thron nicht besteigen dürfen,
und Napoleon III. habe 1860 in gleichem Sinne die Can-
didatur des Prinzen Murat auf den Thron von Neapel
untersagt: Alles nach dem Grundsatz, daß ein Prinz aus
dem Herrscherhause einer Großmacht nicht ohne Einverständniß
der andern Mächte einen fremden Thron erlangen solle.
Frankreich erwarte jetzt, daß man auch ihm die Wohlthat
einer so oft bekräftigten Doctrin zuerkenne.
In diesem Documente verschwieg Gramont mit gutem
Grunde, daß er nicht nur laut den frühern Vorkommnissen
den Verzicht des Prinzen Leopold, sondern, was die Sache
erst bedenklich machte, den Verzicht nach ausdrücklichem Befehl
des Königs Wilhelm forderte.
Sodann, was hätte er entgegnen können, wenn Bismarck
in großer Höflichkeit den völkerrechtlichen Grundsatz aner-
kannt und nur ebenso freundlich die Bemerkung hinzugefügt
hätte, daß Prinz Leopold kein Mitglied des preußischen
Herrscherhauses und in dieser Sache völlig unabhängig von
dem Willen des Königs sei?
Und weiter, wie kommt gerade die Regierung Napo-
leon's III. dazu, jenes Princip anzurufen? Denn 1859 hatte
er, ohne die Mächte zu befragen, alle Mittel gebraucht, um