1870 Der französische Ministerrath vom 14. Juli Morgens. 373
den Schein eines Abbruchs aller diplomatischen Beziehungen
noch vermeiden. Aber der arme Werther hatte durch sein Miß-
geschick die Besinnung vollständig verloren. Anstatt einfach
dem französischen Minister die vorgeschriebene Mittheilung zu
machen, trat er verstörten Gemüthes bei ihm ein: Ich bin in
der verdrießlichsten Lage; meine Regierung hat mich scharf
getadelt, daß ich Ihre neuliche Zumuthung überhaupt an-
genommen und an den König berichtet habe; ich soll abreisen.
Gramont sah also von den beiden schönen Forderungen
des 13. Juli auch die zweite, in noch schrofferer Form als
die erste, man kann kaum sagen, zurückgewiesen, sondern gar
nicht angehört. Es schien ihm danach kaum mehr möglich,
den Frieden zu erhalten. Auf 12 Uhr hatte der Kaiser eine
neue Sitzung des Ministerraths unter seinem Vorsitz anberaumt.
Als Gramont dorthin fuhr, konnte sein Wagen sich nur
langsam durch die dicht gedrängten Menschenhaufen durch-
winden; sie schrien den Minister an: Krieg, Krieg gegen
Preußen, Krieg auf der Stelle! Mit geballten Fäusten wurde
er wegen des langen Zauderns bedroht.
Gleich nach Eröffnung der Sitzung nahm wieder Leboeuf
das Wort und drang mit verdoppeltem Eifer auf die Mobil-
machung. Noch immer widersetzte sich die große Mehrheit
der Minister. Ich bin überzeugt, erklärte der Marschall, daß
in Preußen die Rüstungen schon begonnen haben; es läßt
Pferde in Belgien ankaufen und ruft die im Auslande lebenden
Reservisten unter die Fahne zurück.1) Seine Behauptungen
konnten natürlich von den übrigen Ministern nicht widerlegt
werden; indessen stritt man Stunden lang, bis endlich Leboeuf
) Das Letzte war sicher falsch. Seine Aussage in den Dépo-
sitions I, 47.
v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches. VII. 22