1870 Gründe für die Kriegserklärung. 343
habe sie seinem Berichte über die Nachtsitzung zu freier Er-
gänzung nachträglich hinzugefügt.
Indessen so viel Gramont auch sonst in solchen Erfin-
dungen geleistet hat, ist mir in diesem Falle doch ein Anderes
wahrscheinlicher. Am Abend des 14. Juli brachte die offi-
ciöse Norddeutsche Allgemeine Zeitung in fetter Schrift eine
kurze Notiz, Benedetti habe die Regeln des diplomatischen
Verkehrs so weit aus den Augen gesetzt, daß er sich nicht
enthalten, den König in der Badekur zu stören, ihn auf der
Promenade über die Angelegenheit zu interpelliren und ihm
Erklärungen abdringen zu wollen. Wenn Le Sourd den
Artikel sogleich nach Paris telegraphirte, so konnte es geschehn,
daß er gegen 11 Uhr dem Minister in die Sitzung nach-
geschickt, und von diesem im kriegerischen Sinne ausgebeutet
wurde. Zwar meldete der Artikel keine Insulte von irgend
einer Seite, immer enthielt er aber eine Rüge gegen eine
gewisse Verletzung der Formen durch Benedetti; dazu stand
er in einem halbamtlichen Blatte und ließ sich also gegen
Bismarck als neue öffentliche Beleidigung Frankreichs ver-
werthen. Dies wäre denn der von Leboeuf bezeichnete Artikel,
der das Maaß zum Überströmen gebracht hätte.))
) Sorel (histoire diplomatique 1) hat die Vermuthung auf-
gestellt, die von Leboeuf bezeichnete entscheidende Depesche sei eine in
Gramont's Hände gerathene Abschrift des Berichts des Lord Loftus
über Bismarck's drohende Außerungen am 13. Juli gewesen, und
Oncken und Delbrück haben diesem Gedanken eifrig zugestimmt. Ich
sehe nicht ab, warum dann Ollivier und Gramont in ihren von ein-
ander unabhängigen Aussagen die Verwendung des angeblich ent-
scheidenden Actenstücks so vollständig verschwiegen hätten. Man würde
verstehn, daß sie in der öffentlichen Kammerverhandlung am 15. Juli
nicht davon reden, da sie damals durch den unrechtmäßigen Besitz der
Abschrift den Lord Loftus schwer hätten compromittiren können. Aber