1870 Patriotische Begeisterung in ganz Norddeutschland. 357
Abschied von den Eltern, die in Sorge und Thränen und doch
stolz und glückselig die fröhlich hinausziehenden Söhne, viel-
leicht zum letzten Male, in die Arme schlossen. Die Hörsäle
der Universitäten verödeten; die Studenten, die noch nicht
gedient hatten, reisten im Lande umher, um ein Regiment
zu suchen, welches sie aufnähme, meist vergeblich, denn alle
Cadres waren voll und übervoll; wenn sie nicht in einem
Ersatzbataillon Unterkunft fanden, bildeten sie wohl sogenannte
Nothhelfer-Colonnen, nicht selten unter der Führung von
Professoren, welche trotz ihres Alters die innere Bewegung
nicht zu Hause litt, mit dem Hauptzweck, die Verwundeten
auf den Schlachtfeldern aufzulesen: sie sollten zahlreiche und
gefährliche Arbeit erhalten. In allen Gemeinden entstanden
Vereine zur Einrichtung zweckmäßiger Lazarethe, zur Samm-
lung von Verbandzeug, Lebensmitteln, Kleidungsstücken aller
Art für die Kämpfer und die Kranken draußen im Felde.
Deutscher Gewerbfleiß hatte eine Menge junger Männer in
alle Länder Europa's geführt; sie Alle eilten auf die erste
Nachricht, ohne auf die amtliche Berufung zu warten, zu den
heimischen Fahnen zurück. Die Schriftsteller riefen die Er-
innerung an die gleiche Erhebung von 1813 wach, die Dichter
fügten den alten Gesängen von Arndt, Körner und Schenken-
dorf neue Kampfeslieder hinzu, einige, z. B. Geibel's pracht-
voller Siegesjubel, von höchster poetischer Wirkung; es gab
keine Zeitung, welche nicht Tag für Tag die Begeisterung zu
steigern gesucht hätte. Lange Jahrhunderte waren vorüber-
gegangen, wo überall Deutsche gegen Deutsche gekämpft
hatten, ohne zu wissen, was sie thaten: jetzt endlich war die
deutsche Volksseele ihrer Einheit und ihrer Kraft bewußt
geworden, und Millionen drängten sich mit freudigem