1860 Morny. 67
so auch die Bildung in Frankreich zur Anerkennung des
Staatsstreichs geführt. Aber je weiter vor dem kräftigen
Walten der Regierung die revolutionäre Gefahr zurücktrat,
desto größere Kreise begannen die Frage zu erheben, weshalb
die Dictatur noch nothwendig sei. Seit 1815 hatte man so
unbefangen Frankreich und Paris als die Quelle aller poli-
tischen Freiheit auf dem europäischen Continent gepriesen,
und sah jetzt anstatt der großen Grundsätze von 1789 die
Allmacht einer höchst willkürlichen Polizei, die Knebelung der
Preßfreiheit und des Vereinsrechts, die Wahlen zur Volks-
vertretung, zwar nach allgemeinem Stimmrecht, aber unter
herrischer Bevormundung durch die Staatsbehörden in Wirk-
samkeit. Scham und Zorn erfüllten gerade die besten Ele-
mente des Volkes, die Geister, in denen noch eine ideale
Richtung und ein patriotischer Gemeinsinn pulsirte. Ging
dies so fort, so würde sehr bald der Kaiser mit einer Schaar
eigennütziger Stellenjäger einsam zwischen seinen Bauern und
Soldaten stehn, ohne Verbindung mit dem geistigen Leben
der Nation.
Es war der begabteste unter seinen damaligen Rath-
gebern, sein Halbbruder Morny, der, wie er einst beim
Staatsstreiche das Beste gethan, auch zuerst die Nothwendig-
keit einer neuen Wendung der innern Politik in das Auge
faßte. Aus dem autoritären müsse ein liberales Kaiserthum
werden. Natürlich, nicht an einem einzigen schönen Festtage
würde Napoleon seine sämmtlichen Herrscherrechte zu den
Füßen der Volksvertretung niederlegen: nein, unter allen
Umständen sollte er die Macht der Entscheidung behalten;
aber er besaß eine solche Fülle der Rechte, daß er eine lange
Reihe einzelner Geschenke, ohne irgend ein Wagniß für die
5-