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der freikonservativen Fraktion sei, und hatte nun geglaubt,
daß ich ihm am ehesten reinen Wein einschenken werde.
Seine Frage, ob ich hierzu gewillt und in der Lage
sei, konnte ich denn auch mit gutem Gewissen um so mehr
bejahen, als ich zu den Landräthen gehört hatte, die über
die einzelnen Bestimmungen der Kreis-Ordnung gutachtlich
gehört worden waren.
Ich entwickelte hierauf mit möglichster Kürze und Präzi-
sion meine Ansicht dahin, daß die Sybelschen Befürch-
tungen übertrieben seien und daß unter gewissen näher von
mir bezeichneten Kautelen die Einführung der Kreis-Ordnung
ohne Gefährdung der staatlichen Interessen erfolgen könne.
Die Unterredung streifte dann noch einige andere
Punkte, namentlich die Verwaltung der Schulangelegen-
heiten bei den Regierungen, denen der Fürst bureaukra-
tische Kurzsichtigkeit und Unkenntniß der ländlichen Ver-
hältnisse zum Vorwurf machte. Sie berührte auch meine
persönlichen Verhältnisse, nach denen sich der Fürst ein-
gehend erkundigte.
Um ¼ auf 11 verließ ich die Wohnung des Fürsten
in einigermaßen gehobener Stimmung, denn es war für
mich ein außerordentliches Ereigniß, einem Manne wie
ihm, Aug in Aug gegenüber gestanden zu haben. Daß
dieser Tag einen Wendepunkt in meinem Leben bedeute,
ahnte mir freilich nicht.
Wenige Tage später erhielt ich eine Einladung zum
Diner im Bismarck'schen Hause und traf dort nur die
Familie, den Grafen Lehndorff, Flügel-Adjutanten des
Kaisers und Heinrich von Sybel.