Erste Erwägungen über ein Flottenabkommen mit England 101
hat die deutsche Flotte trotz verschiedentlichem Versagen der deutschen
Politik ihre Aufgabe bis in den Juli 1914 gelöst, und es ist nicht ihre
Schuld, daß sie ihren friedebewahrenden Zweck nicht noch besser und
länger erfüllen konnte. Es ist für mich schwer verständlich, daß Herr
v. Bethmann Hollweg die „sogenannte Flottenpolitik“, die er selbst
acht Jahre als Kanzler gegengezeichnet hat, auch jetzt noch beschuldigt.
Um so schwerer verständlich, als er selbst wie Lichnowsky und andere
Sachverständige des Auswärtigen Amtes in den dem Krieg vorangehenden
Jahren eine fühlbare Entspamung der deutsch-englischen Beziehungen
festgestellt und anerkannt haben, daß der deutsche Flottenbau, je mehr er
sich seiner Vollendung näherte, die Verbesserung unseres Verhältnisses
zu England mindestens nicht verhindert hat. Der Ausbruch des Krieges
aber entsprang nicht einer Verschlechterung der deutsch-englischen Be-
ziehungen; man kann sogar eine besonders tragische Verknüpfung darin
sehen, daß Deutschland und England 1914 einander näher gerückt waren,
als zur Zeit der deutschen Flottenlosigkeit 1896 oder der deutschen
Flottenschwäche 1904, als es Fürst Bülow gelang, die gefährliche
Zone zu überbrücken. Die deutsche Flotte hat ihrer Zweckbestimmung
gemäß den Frieden beschützt. An dieser klaren Tatsache rütteln heute
Interessenten; dazu kommt jener Zug der Selbstvernichtung im deut-
schen Wesen, der immer gern das Ungünstige glaubt und froh ist, heute
als unvernünftig schelten zu können, was gestern vernünftig schien.
Bethmann-Hollweg schien mit mir vor dem Kriege darin einig, daß
das Flottengesetz, die Grundlage unserer gesamten weltpolitischen Aus-
sichten, umnangetastet aufrechterhalten werden müsse. Ich meinerseits war
mit dem Kanzler darin einig, daß von unserer Seite alles getan werden
müßte, um eine Verbesserung der Beziehungen zu England anzustreben.
Ich habe den Kanzler von den ersten Tagen seiner Amtsführung an darin
unterstützt, den Engländern in den von ihnen angeregten Einzelfragen
entgegenzukommen. Insbesondere habe ich den Kaiser in diesem Sinne
beeinflußt und meinerseits nichts unterlassen, um die seit 1908 an-
geregten Verhandlungen über eine Flottenverständigung im Gang zu
erhalten.
Bei diesen zuerst durch private Unterhändler gepflogenen und von
englischer Seite mehrfach stark verschleppten Unterhandlungen gewann
ich je länger, desto bestimmter den Eindruck, daß es der englischen
Regierung mit einer wirklichen Flottenverständigung nicht ernst war,