Zur Vorgeschichte des Ultimatums 113
Schon am 11. Juli besaß, wie ich nach Jahren erfahren habe, das
Berliner Auswärtige Amt die Überzeugung, daß die Entente in Belgrad
zum Nachgeben geraten hätte. Damit hatte der Kanzler Handhaben,
um den Knoten zu lösen. Er aber zog aus der Annahme, daß die
Entente den Krieg nicht wollte, den kurzsichtigen Schluß, daß Öster-
reich sich ohne Rücksicht auf die Entente den Einmarsch in Serbien
wahrscheinlich erzwingen könnte, ohne den Weltfrieden zu gefährden.
Denn, wie Zimmermann schon am 8. Juli gesagt hatte, nahm man
in Berlin an, „daß, wenn Österreich in Serbien einrückte, England
und auch Frankreich im Verein mit uns auf Rußland einwirken wür-
den, um den Konflikt zu lokalisieren“. Man unterschätzte die Festig-
keit des Zusammenhangs unter den drei Großmächten und darum
die Gefahr eines allgemeinen Kriegs. Die begreifliche Abneigung der
Menschen, begangene Irrtümer einzugestehen, erschwert heute dem Kanz-
ler und den Seinen das offene Bekenntnis zu ihrem damaligen für
Deutschland so verderblichen Optimismus. Ich besitze aber in den
Meldungen meiner eigenen Behörde genügend Spiegelbilder für die
damalige Stimmung der Wilhelmstraße.
Am 13. Juli hatte der Kanzler Kenntnis von wesentlichen Punkten
des beabsichtigten Ultimatums, worüber ich eine Mitteilung meines
Amtsvertreters nach Tarasp erhielt. Der betreffende Absatz des an mich
gerichteten Schreibens lautet:
„Unser Botschafter in Wien, Herr v. Tschirschky, hat privatim und auch
vom Grafen Berchtold erfahren, daß die von Österreich an Serbien zu richtende
Note folgende Forderungen stellen werde:
1. Eine Proklamation des Königs Peter an sein Volk, worin er es auf-
fordert, von der großserbischen Agitation Abstand zu nehmen,
2. Beteiligung eines höheren österreichischen Beamten an der Untersuchung
des Attentats,
3. Entlassung und Bestrafung sämtlicher Offiziere und Beamten, deren
Beteiligung daran nachgewiesen wird.“
Davon, daß die Entente in Belgrad zum Frieden geraten hätte,
wie man damals in der Wilhelmstraße optimistisch annahm, ist mir
nichts bekannt geworden. Auffällig ist mir noch heute, daß die Entente
es nicht vermocht hat, über ihre friedensfördernde Einwirkung in
Belgrad schlüssige Dokumente vorzulegen. Die serbischen Mordmethoden
Tirpitz, Erinnerungen