134 Der Ausbruch des Krieges
mindestens das Odium der Kriegserklärung von uns abzuwälzen, auch
wenn wirklich der letzte Funke einer Friedensmöglichkeit erstickt
sein sollte. Ich fragte also, ob ohne Akzept der russischen Re-
gierung die Feindseligkeiten unserseits eröffnet werden sollten, die
doch angesichts unseres Aufmarsches im Westen nur in Rauch- und
Scheinmanövern bestehen könnten. Da unsere Patrouillen nach Moltkes
Angabe erst in einigen Tagen die russische Grenze überschreiten soll-
ten, so brauchten wir doch nicht als Angreifer dazustehen.
Die von mir angeregte Frage wurde übertönt durch eine in diesem
Angenblick einlaufende Depesche Lichnowskys, die uns den Anstoß
zu einem letzten Friedensschritt gab. Ich habe hierbei Bethmann leb-
haft unterstützt, wie auch später auf seine Frage, ob wir den Engländern
versprechen könnten, die französische Küste nicht anzugreifen, bejahend
geantwortet und ihm empfohlen, das Anerbieten auch in seine Reichs-
tagsrede aufzunehmen. Dieser Friedensschritt war zum Scheitern
verurteilt, da Lichnowsky ein Mißverständnis unterlaufen war, doch
hat er wenigstens noch einmal bewiesen, daß Deutschland den Krieg
nicht wünschte.
In der Nacht vom 1. zum 2. August wiederholte sich beim Reichs-
kanzler der Disput über unsere Kriegserklärung, diesmal hinsichtlich
Frankreichs. Der Kanzler meinte, wir müßten Frankreich sofort den
Krieg erklären, weil wir durch Belgien marschieren wollten. Ich
warf ein, ich hätte schon nicht verstanden, weshalb man die Kriegs-
erklärung an Rußland mit der Mobilmachung veröffentlicht hätte;
ich könnte auch keinen Nutzen darin sehen, die Kriegserklärung gegen
Frankreich früher loszulassen, als bis wir in Frankreich selbst ein-
marschierten. Ich verwies auf Berichte des Botschafters in London,
nach denen der Durchmarsch durch Belgien den Krieg mit England
unmittelbar zur Folge haben müßte, und rührte an die Frage, ob
die Armee eine Möglichkeit besäße, den Durchmarsch durch Belgien
aufzuhalten. Moltke erklärte, daß es keinen anderen Weg gäbe. Ich
erhielt den Eindruck, daß es ausgeschlossen war, in den Mechanismus
der Transporte einzugreifen. Ich erklärte, dann müßte unsererseits
mit dem sofortigen Krieg gegen England gerechnet werden. Jeder
Tag wäre ein Gewinn für die Mobilmachung der Marine. Deshalb
müßte die Mitteilung an Belgien so spät wie möglich erfolgen. Man
sagte mir zu, bis zum zweiten Mobilmachungstag zu warten, was