166 Hauptfragen des Krieges
Andersdenkende, jeder wahrhaft deutsch Gesinnte in Acht getan, obwohl
Armee und Marine ohne jeden Zweifel bis zum Frühjahr 1919 hätten
durchhalten und dadurch wirkliche Friedensverhandlungen hätten decken
können. In diesen schwärzesten Tagen der deutschen Geschichte, als wir
die volle Fähigkeit noch besaßen, mit dem Schwert in der Hand dem
gleichfalls kriegsmüden Feind den Vorschlag zu einem gerechten Frieden
zu machen, diese Möglichkeit aber von uns stießen, um im Chaos unter-
zugehen, schrieb ich als Vorsitzender der Vaterlandspartei einen zweiten
Brief an den Reichskanzler.
Berlin, den 30. Oktober 1918.
Euer Großherzogliche Hoheit
haben meinen ehrerbietigen Brief vom 17. d. M. gnädig auf-
genommen; aber in einer wichtigen Beziehung, nämlich bezüglich des
Ubootskrieges, eine Entscheidung getroffen, der ich, und wie ich höre,
auch die Marine- und Armeeautoritäten, widerraten haben. Die gegen-
wärtige Lage läßt es mir als Pflicht erscheinen, einen in meinem
damaligen Briefe nicht genügend betonten Gedanken auch jetzt noch
Euerer Großherzoglichen Hoheit zu unterbreiten.
Jeder militärische Rückzug, wenn er nicht in katastrophaler Flucht
enden soll, muß geleitet sein mit zeitweiligen und passenden Kehrt-
wendungen gegen den nachdringenden Feind. Dasselbe gilt zweifels-
ohne und vielleicht noch in verstärktem Maße bei einem politischen
Rückzug. Selbst wenn wir uns klar darüber zu sein glauben, daß
wir militärisch nichts mehr erreichen können, muß man sich stets
gegenwärtig halten, daß auch auf der gegnerischen Seite der Wunsch,
keine großen Opfer mehr zu bringen, aus rein psychologischen Gründen
sehr hoch gestiegen ist. Frankreich rettete 1871 durch seine damalige
Haltung auch nach erfolgtem Waffenstillstande Belfort in den Friedens-
verhandlungen. Wenn im Kampf ein Soldat den Degen übergibt, so
kann er auf Pardon rechnen. Geschieht dies aber auf politischem
Gebiet, macht der Unterliegende sich völlig wehrlos und ergibt er sich
ohne Haltung, so bewirkt er beim Sieger das Gegenteil von Rücksicht,
er erweckt vielmehr den Wunsch rücksichtsloser „Bestrafung“.
Aus diesen Gründen kann ich mir, abgesehen von der durch Jahr-
hunderte nachwirkenden Schmach, rein materiell gedacht, keinen schlech-
teren Frieden denken, als solchen, der uns aufgezwungen werden