Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Unier Stosch und Caprivi 10 
setzung der Auslandsstationen durch Kreuzer hat Stosch großen Wert 
beigelegt, für seine Zeit mit Recht. Denn die staatlichen Verhältnisse 
etwa in den südamerikanischen Staaten, in China oder Japan waren 
noch nicht so entwickelt, daß diplomatische oder konsularische Verhand- 
lungen immer genügten; die tatsächliche Macht an Ort und Stelle 
gab den Ausschlag. 
Schon in den Siebziger Jahren war Stosch der Uberzeugung, daß 
wir Kolonien erwerben müßten und ohne Ausbreitung nicht dauernd 
bestehen könnten. Er sah die Blüte des jungen Reiches für rasch ver- 
gänglich an, wenn wir nicht die entscheidende Ungunst unserer Lage 
und Geschichte in letzter Stunde über See ausglichen. Wir hätten 
damals leichter und günstiger zu Kolonien gelangen können, als es 
später der Fall war. Auch abgesehen von kolonialen Hoffnungen durch- 
drang die Marine ein weltwirtschaftlicher Wissenstrieb, um so mehr, 
als die Nachrichtensammlung durch Berufskonsuln erst schwach ent- 
wickelt war. Als wir 1872 mit dem „Friedrich Karl“ draußen waren, 
hatten wir auch den Auftrag zu „exploriren“, über alle Orte zu be- 
richten, wofür sie geeignet wären und welche Bedeutung sie wirtschaft- 
lich für uns haben könnten. Ich erinnere mich noch, wie ich die Insel 
Porto Grande auf den Capverden erkundet habe, fast unfruchtbar, hohe 
Felsen mit ein paar einzelnen Palmen, aber der gegebene Kohlenplatz 
zwischen Kapstadt, Europa und Südamerika. Auch beim Besuch von 
Curacao hatten wir den Eindruck, daß ein Kauf der Insel erwogen 
wurde, und möglicherweise hing unser nächstjähriger Auftrag, nach Hawati 
zu gehen, mit Ahnlichem zusammen. Aber Deutschland verstand in 
den Siebziger Jahren derartige Regungen noch nicht. Auch stand 
damals in eigentümlichem Widerspruch zu unserem politischen Ansehen 
die beschämende Tatsache, daß wir unsern Bevölkerungszuwachs großen- 
teils ins Ausland abströmen lassen mußten, noch nicht imstande, ge- 
nügend Waren auszuführen statt Menschen. Um alle Fragen des Reichs, 
die mit der See zusammenhingen, bemühte sich Stosch, insbesondere 
auch um Entfaltung unsres verkümmerten Kauffahrteiwesens. Er fand 
viel Widerstand, erreichte es aber, im Bundesratsausschuß für See- 
wesen den Ton anzugeben; er benutzte das hydrographische Amt, die 
Seewarte, die Beziehungen zum hanseatischen Gesandten, um sich zur 
Geltung zu bringen. Die seemännischen Schulen, an denen die Kriegs- 
marine wegen des Mannschaftsersatzes unmittelbar interessiert war, 
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