214 Kriegsbriefe 1914
unterdrücken, aber er ist ausgeschaltet in militärischer Hinsicht. Wenn man
an 1870 denkt, diese Würde, dieser Ernst, dann der kristallklare Mann, der
wägen konnte und wagen konnte, und schließlich „der Eiserne“. Angst und
bange kann einem werden, dazu das siegestolle Berlin zu einer Zeit, wo noch
alles auf dem Spiel steht. Nur auf den ungeheuren moralischen Schwung,
mit dem unsere ganze Nation den perfiden, brutalen Fehdehandschuh auf-
genommen hat, kann man wahrhaft stolz sein und daher hoffen, zu einem
guten Frieden zu kommen. Es ist aber viel zu früh, über die Art desselben
zu sprechen.
Luxemburg, 15. IX.
Hier ist die Krisis noch gar nicht vorüber; sie wird sich euch auch noch in
hohen Personalveränderungen kenntlich machen, über die ich nicht schreiben
mag. Ich kann mich ja täuschen, aber ich würde Falkenhayn nicht gewählt
haben, obendrein mit sehr großen Befugnissen. Bei der I. Armee wird heftig
gekämpft, und die von allen Seiten veranlaßten Verstärkungen werden nicht
mehr zur richtigen Zeit ankommen. Das ist alles sehr fatal und die Sieges-
tollheit der Berliner Zeitungen, die mir schon stets unangenehm war, stößt
mich jetzt noch mehr ab. Plettenberg hat wirklich dem Kaiser gemeldet, daß
bei vielen Garderegimentern die Kompanien nur 50 Mann stark sind von
300 Ausgerückten.
Luremburg, 20. IX.
Durch den Zusammenbruch hier, den ich angedeutet habe und der in Berlin
schon überall bekannt ist, sind allein die furchtbaren Opfer ohne Erfolg
gebracht worden und ist Deutschland in eine überaus gefährliche Lage ge-
kommen. Alles ist letzten Endes der Spielerei zu verdanken. Vielleicht rettet
uns das Volk und seine Kraft. Mit dem bisherigen Kasten- und Klassenwesen
ist es vorbei. Sieg oder Niederlage, wir bekommen die reine Demokratie.
Luxemburg, 21. IX.
Wie ist dieser Krieg schwer und vor allem die große, große Gefahr, daß
alles Blut umsonst geflossen sein sollte. Die Stellungnahme von Rumänien
muß sich jetzt entscheiden; schlägt sie gegen uns aus, so weiß ich kaum was
werden soll. Amerika steht mit seinem Herzen auf Seite Englands und liefert
Patronen und Kriegsmaterial für Frankreich. Gerade in dem Patronenmangel
liegt aber für uns eine Gefahr. Die Franzosen werden vorzüglich geführt,
während das bei uns leider nicht der Fall gewesen ist. Körperlich ist Moltke
zusammengebrochen. Laß keinen Ton darüber verlauten, aber äußerst gefähr-
lich ist unsere Lage geworden, weil Österreich so völlig versagt hat. Sie sollen
noch 500 O00 Mann in Galizien haben von 800 000 Ausgerückten. Hier im
Westen ist die Lage für uns auch schon sehr schwer geworden. Ich würde dar-
über selbst Dir nichts schreiben, wenn ich nicht gestern einen Berliner Herrn
(Automobilfahrer) gesprochen hätte, der alles wußte und mir sagte, alles
wäre auch in Berlin bekannt. Die Engländer schicken tatsächlich große Massen
von Truppen herüber; die Quglität der letztern muß allerdings immer schlech-