Unter Stosch und Caprivi 23
kurz, dies Verharren auf Caprivis Standpunkt unter völlig veränderten
Weltverhältnissen, ist eine der geschichtlichen Ursachen des Kriegsver-
laufs geworden. Jedoch davon später.
Der Seeoffizier war im Gegensatz zum Landoffizier auf das Studium
der überseeischen Kräfte hingewiesen. Auch schliff ihm wohl der Um-
gang mit Ausländern die altpreußischen Ecken leichter ab, ohne den
Sinn für die unentbehrlichen Uberlieferungen des Staates zu ertöten.
Denn man darf nie vergessen, daß gerade Preußen in seinen Offizieren
eine der wenigen festen deutschen Formen geschaffen hatte und zugleich
die erste, welche nach dem völligen Versinken in Fremdknechtschaft
seit Friedrich dem Großen uns wieder ein freies Auftreten in der Welt
ermöglicht hat.
La vie au roi,
L’honneur pour soi,
Sacrifiant son bien,
Chicané pour un rien,
Voilà l'officier prussien.
Der deutsche Staat war zwischen 1870 und 1914 noch zu jung,
um eine eigene deutsche Form auszubilden. Das hat uns in der Welt
geschadet.
Das englische Seeoffizierskorps verkehrte mit den deutschen Kame-
raden zu Caprivis Zeit noch ohne jede Eifersucht. Die damals in der
amtlichen Politik vorwaltende Neigung, die britische Flotte als Er-
gänzung des Dreibundes anzusehen, rückte uns beinahe in eine Art
von Bundesfreundlichkeit, der freilich von England stets ausgewichen
wurde, wenn praktische Folgerungen aus ihr in Frage kamen. Im Ver-
kehr mit der französischen Marine half das Prestige von 1870 über
unsere maritime Unterlegenheit hinweg. Wir bewunderten an der Hal-
tung der Franzosen den Stolz einer geschlagenen Nation, die ihre Ehre
in keiner Stunde vergißt, und lächelten wohl auch einmal über die roma-
nische Verve ihres Revanchegefühls.
Die Stimmung gegen das Deutschtum hat sich seit den Neunziger
Jahren aus einer Reihe von Gründen verschärft. Wir Älteren denken
heute mit besonderen Empfindungen an jene Zeiten unter Wilhelm I.
zurück, da wir noch vornehme Leute in der Welt und gern gesehen
waren. Diese Umdüsterung unserer Lage hätte aber auch ein Zwei-