Wie die Seeinteressen dem Volke bekannt wurden 67
Weise zur Unterstützung bereit fanden. Schmoller, Wagner, Sering,
Schumacher und viele andere wiesen nach, daß die Aufwendungen für
die Flotte produktive Ausgaben wären, und stellten die Lage Deutsch-
lands dar, die ungesicherte wirtschaftspolitische Grundlage unsrer ganzen
Kultur und Macht, die Gefahr, daß unser Menschenüberfluß statt
eines Reichtums eine unerträgliche Last werden könnte. Sie zeigten,
wie sehr unsre Weltstellung auf Sand gebaut war, wie die Chamber-
lainschen Zollpläne u. a. uns zum Vegetieren als armes Kleinvolk ver-
urteilten, wenn wir nicht die Macht hätten, ein eigenes Wort gegenüber
den Überseemächten in die Wagschale zu werfen. So kam ein Schwung
in die Erörterung nationalpolitischer Fragen, der ein gesundes Gegen-
gewicht gegen unfruchtbare sozialpolitische Utopien schuf.
Von den großen Historikern, die in einem früheren Menschenalter
die öffentliche Meinung führten, war keiner mehr am Leben, nachdem
auch Treitschke gestorben war, der herrliche Mann, bei dem ich von
1876 ab an der Universität gehört und mir auch privatim, bei Josty
neben ihm sitzend und meine Fragen auf einen Zettel kritzelnd, hatte
Rats holen dürfen. Warum Treitschkes Geist in der deutschen Historie
fast erloschen ist, verstehe ich nicht. Unsere Weltlage war doch so
eindeutig. Wir hörten ohne eine durch Seemacht gedeckte Industrie
auch auf, eine festländische Großmacht zu sein, und daß wir saturiert
wären, wie die weltabgewandte Haltung mancher Gelehrter anzudeuten
schien, konnte höchstens von der Frage der deutschen Einigung gelten.
Nach der Lösung der Einheitsfrage stellte sich aber mit voller Gewalt
die Frage, ob wir im Rahmen der Menschheit etwas bedeuten sollten.
Es lag vielleicht in der Neuheit und raschen Entwicklung dieses poli-
tischen Problems, daß die Historiker in ihrer Mehrzahl es nicht so klar
begriffen wie die Nationalökonomen.
Auch die Armee mit ihren festländischen Uberlieferungen folgte dem
Wandel der Weltlage nicht gern, wovon ich bald darauf einen An-
wendungsfall im Kleinen erlebte durch die unbehilfliche Vorbereitung
der leidigen Chinaexpedition, bei deren Durchführung die mangelhafte
materielle und geistige Disposition der Armeeverwaltung für Aufgaben,
die nicht zum Zweifrontenkrieg gehörten, nur infolge der weltmännischen
Persönlichkeit des Grafen Waldersee weniger in die Erscheinung trat.
Doch habe ich bei hervorragenden Militärs, mit denen ich, wie mit
den Gelehrten, jedoch unter stärkerer Betonung des militärisch- poli-
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