70 Erste Flottengesetze und Flottenbau
unserer Schiffe von Amerikanern und Engländern vergewaltigt worden.
Diese Demütigung hatte im Verein mit der unglücklichen Manila-
Angelegenheit die Stimmung für wirksamere Seegeltung in der deut-
schen Offentlichkeit gestärkt. Andere Zeichen der Zeit waren die Unter-
werfung der Franzosen unter den Willen des seebeherrschenden Englands
bei Faschoda und der zur See verlorene Krieg der Spanier gegen
Amerika mit der aus ihm folgenden Einbuße an Kolonien. Der Buren-
krieg endlich warf seine Schatten voraus. Mächtig erweiterte Flotten-
baupläne so ziemlich aller Seemächte deuteten auf eine schnellere Ent-
wicklung der Welt, als wir sie 1897 anzunehmen in der Lage gewesen
waren.
So hatte ich mich also Ende September 1899 mit Einwilligung des
Kaisers bereit gemacht, in den Etat für 1900 möglichst viele un-
bequeme Forderungen hineinzuarbeiten und während der Wintermonate
1899/1900 mit den Parlamentariern Fühlung zu nehmen und im
Reichsmarineamt Form und Inhalt einer neuen Novelle vorbereiten
zu lassen, über deren Einbringung dann im Frühjahr 1900 je nach
der Weltlage und Volksstimmung Beschluß gefaßt werden sollte.
Da ich wußte, wie schwer es der Natur des Kaisers fiel, diese
Sache ausreifen zu lassen und es sich zu versagen, selbst damit her-
vorzutreten, hatte ich am 11. Oktober 1899 den Staatssekretär des Aus-
wärtigen bitten lassen, auf den Kaiser in dem Sinne zu wirken, daß
er bei dem beabsichtigten Stapellauf S. M. S. „Karl der Große“
in Hamburg eine verfrühte Berührung der Flottenfrage unterlassen
möchte. Graf Bülow ging bereitwillig darauf ein und zeigte sich auch
seinerseits besorgt über etwaige politische Außerungen bei dieser Ge-
legenheit.
Der Stapellauf fand in Hamburg am 18. Oktober statt und brachte
die aufsehenerregende Rede des Kaisers, der im Rahmen eigener Aus-
drucksweise unsre noch im ersten Vorbereitungszustand befindlichen Er-
wägungen ohne Befragung des Reichskanzlers oder des Staatssekretärs
des Auswärtigen in die Offentlichkeit warf. Mit seinem Schlagwort
„Bitter not tut uns eine starke deutsche Flotte“ nahm der Kaiser die
Initiative vor dem Volk auf sich. In verstärktem Maße hatte die
Marineverwaltung jetzt mit dem Verdacht zu kämpfen, ihr Vorgehen
entspränge „absolutistischen Einflüssen, gegen welche die Reichsverfas-
sung geschützt werden müßte“.