Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

72 Erste Flottengesetze und Flottenbau 
lichen Schritt zur Weltpolitik zu tun und seinem Handel seine Flagge 
wenigstens in angenäherter Bedeutung folgen zu lassen. Je weniger 
große Worte dabei fielen, je weniger (nach dem mir von Bismarck in 
Friedrichsruh gegebenen Rat) Perspektiven eröffnet wurden, desto besser 
war es. Ich habe es oft bedauert, daß der Wille zur Weltmacht, der ja 
auf unabsichtlichen Wirtschaftsentwicklungen und natürlichen Kräfte- 
verschiebungen ruhte, durch programmatische Kundgebungen zu sehr in 
das mißverständliche Licht eines bewußten Entschlusses und Ruckes ge- 
stellt wurde. In Rominten habe ich damals dem Kaiser meine Über- 
zeugung unter folgenden Leitgedanken ausgedrückt. 
„Wenn das Ziel erreicht ist, haben Eure Majestät eine effektive Macht 
von 38 Linienschiffen mit Zubehör. Dieser Macht wird nur noch Eng- 
land überlegen sein. Aber auch England gegenüber haben wir durch 
Wehrsystem, Mobilmachung, Torpedoboote, taktische Ausbildung, plan- 
mäßigen organisatorischen Aufbau und einheitliche Führung zweifellos 
gute Aussichten. 
Abgesehen von den für uns durchaus nicht aussichtslosen Kampf- 
verhältnissen dürfte England aus allgemein politischen Gründen vom 
nüchternen Standpunkt des Geschäftsmannes aus jede Neigung, uns 
anzugreifen, verlieren und uns ein solches Maß von Seegeltung zuge- 
stehen, daß unsere berechtigten überseeischen Interessen nicht leiden wer- 
den. Von den vier Weltmächten Rußland, England, Amerika und 
Deutschland sind zwei nur über See erreichbar; darum tritt die Staats- 
macht zur See mehr und mehr in den Vordergrund.  
Im Januar 1900 entwickelte ich ferner dem Kaiser den Gedanken, 
daß unser Flottenprogramm nie ausreichen würde, um England angriffs- 
weise zu bedrohen. Die Schlachtflotte sei niemals für einen transozea- 
nischen Krieg, sondern ausschließlich für die Verteidigung der heimischen 
Gewässer bestimmt, und es wäre ein Methodenfehler, vor Verwirk- 
lichung der Schlachtflotte die zweite Entwicklungsgruppe der Marine, 
den Auslandsdienst, irgendwie voranzutreiben. 
Die geforderten Auslandskreuzer wurden vom Reichstag tatsächlich 
verweigert, der ja irgend einen Abstrich machen muß. Der militä- 
rische Kernpunkt des zweiten Flottengesetzes war die Verdoppelung der 
Schlachtflotte. Ferner war von Bedeutung der Wegfall einer Geld- 
grenze. . 
So kam also das zweite Flottengesetz zustande, von dem ich mir
	        
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