Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

74 Erste Flottengesetze und Flottenbau 
Sandbarren unsrer Nordseeflußmündungen, die verhinderten, den 
Schiffen den zweckmäßigsten Tiefgang zu geben. In gewissem Sinn 
kehrte für uns die Beschränkung wieder, welche den Holländern des 
17. Jahrhunderts in ihrem Kampf gegen die Engländer teuer zu stehen 
gekommen ist. In der Seeschlacht kämpft nämlich im wesentlichen 
Schiff gegen Schiff; das technisch Entscheidende ist noch mehr die im 
Einzelschiff angehäufte Kraftkonzentration als die Anzahl der Schiffe. 
Da nun die Holländer wegen der Nordseeflußläufe ihre Schiffe 
nicht so groß bauen konnten, wie die Engländer, erlangten diese die 
örtliche Überlegenheit. Diese und viele andere Hemmnisse galt es also 
in kurzen Jahren so zu überwinden, daß unsre Schiffe trotz allem die 
englischen an Kampfwert übertrafen. 
Ganz allgemein wurde der Flottenbau zunächst erschwert durch den 
damals niedrigen Stand unserer konstruktiven Technik, der erst durch 
allmähliche Arbeit zu heben war. 
Ich glaube sagen zu können, daß es uns im Laufe der Jahre ge- 
lungen ist, die englische Schiffbaukunst an Güte nicht nur zu erreichen, 
sondern in vieler Hinsicht zu überflügeln, Wenige wußten begreiflicher- 
weise auch in Deutschland über diese Überlegenheit ganz Bescheid; viele, 
aber nicht alle vertrauten den Schöpfern der Flotte. Wenn ein Schiff 
im Frieden schwamm, dann traten ja seine Eigenschaften der Solidität 
und Gefechtskraft gar nicht in die Erscheinung, dann war es gleichgültig, 
ob es einen dicken oder dünnen Panzer trug. In die Erscheinung da- 
gegen trat und bot deutscher Nörgelsucht willkommenen Anlaß, ob wir 
z. B. schwere Geschütze mit kleinerem Kaliber führten als die Engländer: 
nicht sichtbar war, daß wir, abgesehen von unseren wirkungsvolleren 
Geschossen, mit dem kleineren Kaliber praktisch dieselbe Durchschlags- 
kraft erreichten, wie die Engländer mit ihrem größeren, daneben aber 
andere sehr wichtige Vorteile erzielten. Die Solidität meiner Arbeits- 
weise war ja manchem schon dem Naturell nach zuwider und solchen, 
die aus fremdländischen Blendangaben gern Wunschlisten zusammen- 
stellten, in den Tod verhaßt. Wenn unsere dem Feind schmählich aus- 
gelieferten Schiffe jetzt wissenschaftlich untersucht worden sind, so wer- 
den die Engländer bei der Durcharbeitung des Ganzen wie der hundert 
Einzelheiten sich gewundert haben, welchen Gegner sie auf ihrem eigen- 
sten Gebiet, dem Schiffsbau, an den Deutschen hatten. Die Engländer 
haben nicht annähernd die gewissenhafte und intelligente Arbeit ge-
	        
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