70 Erste Flottengesetze und Flottenbau
zur behördlichen Behandlung von Wehrfragen hob sich entschieden. Durch
allseitige Erkundigung und persönlichen Augenschein auf Schiffen, Werf-
ten usw. überzeugten sich die Abgeordneten von der Art, wie gearbeitet
wurde. Dabei verschwanden fast alle Gegensätze zwischen Reichstag und
Regierung. Meine verhältnismäßige Unabhängigkeit vom Parlament er-
möglichte es mir im übrigen, Quängeleien sich vielfach selber totlaufen
zu lassen. Unter einem rein parlamentarischen Regierungssystem da-
gegen müßten schöpferische Behörden durch die Nationaluntugenden der
Kleinlichkeit, der Parteimißgunst und der überfließenden Illusions-
fähigkeit geradezu erstickt werden. Insbesondere kann der Parlamenta-
rismus keine Flotten bauen, auch wenn er, wie in Frankreich, viel
dafür ausgibt. Den Engländern gelingt es, weil die Eigenschaften
der Nation und die große geschichtliche Überlieferung ein festes Funda-
ment gebaut haben. Parlamentarische Körperschaften wollten auch schon
zu meiner Zeit bei Laune gehalten sein; sie verursachten viel Beschwich-
tigungsarbeit und unfruchtbaren Kleinkram, brauchten, wie man ge-
sagt hat, stets „eine Kugel, mit der sie spielen konnten.“ So mußte ich
dem Reichstag, um in den Hauptfragen fest bleiben zu können, ge-
legentlich Unwichtigeres opfern. Betraf dies zu meinem Bedauern ein-
mal persönliche Kompetenzen des Offizierskorps, wie bei der Herab-
setzung der Tafelgelder, so erfüllte das die betroffenen Offiziere nicht
mit Befriedigung und machte die Front gegen den vom Parlament
abhängigen Staatssekretär mobil. Ich habe mich aber stets bemüht,
für das Personal aller Kategorien einzutreten.
Im selben Maße wie die Geschwader emporstiegen und sich ein
Marinereich an den deutschen Küsten ausbreitete, dem Meer Gelände
durch Deichbau abgewonnen, Dörfer enteignet, ganze Stadtanlagen
gegründet und mächtige Werkstätten gebaut wurden, wuchs auch die
vielgegliederte Familie der Marineangehörigen ins Breite. Wir waren
die einzige Reichseinrichtung, die Hunderttausende aus landsmann-
schaftlicher Sehweise hinweg in einen gemeinsamen Horizont zog. Die
Marine wurde ein Schmelztiegel des Deutschtums. Bevor kriegerische
Tatenlosigkeit der Hochseeflotte den sie durchströmenden Geist ertötet
hat, konnte man an ihrem Pulsschlag die aufsteigende Kraft
Deutschlands fühlen. Keine Marine der Welt hatte ein so vor-
zügliches Mannschaftspersonal wie wir in unseren Küstenbevölke-
rungen, an den Kauffahrteifahrern, die durch den Dienst in der