Unnötiges Demonstrieren 93
wie herrlich weit wir es gebracht hätten. Wir versetzten uns nie in die
Denkweise der anderen. Admiral Seymour, der vom Kaiser das Bild
„The Germans to the front“ geschenkt erhielt, hat zu einem deut-
schen Waffengefährten gesagt: „Ihr Deutschen seid sehr vorangekom-
men; wenn ihr es uns nur nicht immer unter die Nase reiben wolltet.“
Wir bliesen Fanfaren, die unserer Lage nicht entsprachen. Dann wurden
alle wirklichen oder vermeintlichen Verfehlungen und Schäden agita-
torisch aufgebauscht und an die Offentlichkeit gezerrt und unsere demo-
kratische Presse lieferte auf diese Weise dem Ausland den scheinbaren
Beweis, daß Preußen-Deutschland ein Zuchthaus wäre.
Die Verhältnisse meines Ressorts ließen mich jedes weltpolitische
Demonstrieren in verdoppeltem Maße verurteilen. Auf der anderen Seite
sah ich mit Bangen, wie wenig man sich im allgemeinen die politisch-
strategisch-wirtschaftliche Gesamtlage, ihre ungeheueren Aussichten und
besonderen Klippen vergegenwärtigte. Die Gefahr einer Blockade z. B.,
überhaupt eines Krieges mit England, der unsere ganze Weltstellung
und Zukunft wie mit einem Messer abschneiden konnte, wurde, wie
ich oft beobachten mußte, nicht mit der ihr zukommenden Schwere er-
faßt. Angesichts des englischen Bestrebens, uns mit einer Koalition
einzuschnüren, galt es die Nerven zu behalten, großzügig weiter-
zurüsten, Reizungen zu vermeiden und ohne Beklemmung abzuwarten,
bis die fortschreitende Festigung unserer Seemacht die Engländer ver-
anlaßte, uns friedlich Luft zu geben. Wir haben von allem das Gegen-
teil getan, und so hat sich gerade in dem Augenblick, als die Entspan-
nung schon sichtbar wurde, die bereits abziehende Gewitterwolke noch
über uns entladen. Die Möglichkeit eines Krieges mit England mußte
1914 ebenso vermieden werden wie 1904, und konnte auch, da der
Risikogedanke der Flotte schon gewirkt hatte, wahrscheinlich vermieden
werden, sobald nur unsere politische Leitung der Gefahr dieses Krieges
rechtzeitig und scharf ins Auge geblickt hätte. Hätte ein lebhafter ent-
wickekter Sinn für Macht und ihre Gesetze im deutschen Volk und seinen
politischen Führern im Juli 1914 die Illusion einer örtlichen Be-
grenzbarkeit des serbisch-österreichischen Konflikts nicht aufkommen
lassen, so wäre der Weltkrieg damals verhütet worden.
Nachdem der Weltkrieg ausgebrochen war, hatte siebzehnjähriger
Flottenbau die Aussichten auf einen annehmbaren Frieden mit England
immerhin verbessert, aber nur bei äußerster kriegerischer Energie, diplo-