96 England und die deutsche Flotte
wird dadurch begreiflich, daß derselbe für England noch gar kein Risiko
in sich schloß. Unser in den Anfängen stehendes Flottenunternehmen
aber hoffte die Admiralität dadurch zu entwerten, daß sie 1905 zum
Bau der Dreadnoughtklasse überging, in der Annahme, daß die deutsche
Marine ähnliche Riesenschiffe nicht durch den Nordostseekanal würde
schleusen können.
Diese Kette politischer und maritimer Drohungen, denen eine wilde
Aufhetzung der öffentlichen Meinung zur Seite ging, erzeugte in weiten
Kreisen Deutschlands berechtigtes Befremden. Einerseits lag in den
maritimen Maßnahmen Englands zwar die Anerkennung, daß unser
Flottenbau ernst genommen würde. Auf der anderen Seite aber war
das nun schon fast ein Jahrzehnt währende Verlangen nach unserer
politischen Niederbeugung bekannt und der damalige Stand unserer
Flotte zu klein, als daß er Maßnahmen, wie die Ansammlung britischer
Geschwader in der Nordsee, erklären konnte. Es lag vielmehr klar
die Absicht zugrunde, uns bange zu machen und, wenn möglich, unsern
Trieb zu weltpolitischer Selbständigkeit im Keim zu ersticken.
Ich wurde infolgedessen in den Jahren 1905/6 von den verschiedensten
Seiten bestürmt, eine starke Erhöhung der deutschen Flottenmacht durch-
zuführen, um uns gegen die britische Kriegsdrohung besser zu rüsten und
den Engländern damit politisch eine Lehre zu erteilen. Auch der Kaiser
stand stark unter dem Eindruck eines dahinzielenden Werbefeldzuges
des Flottenvereins und wünschte von mir, ich sollte im Reichstag
fordern, daß das Lebensalter unserer großen Schiffe herabgesetzt würde.
Dieses Lebensalter war, und zwar nur infolge eines parlamentarischen
Mißverskändnisses, im Flottengesetz mit 25 Jahren höher angenommen
als bei den fremden Marinen und führte zu einer beträchtlichen Über-
alterung unserer Schiffe.
Trotzdem habe ich mich der Einbringung einer solchen Novelle zu
diesem Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen widersetzt und Anfang 1906
in diesem Zusammenhang auch ein Abschiedsgesuch eingereicht. Die No-
velle, die ich 1906 einbrachte und die vom Reichstag glatt angenommen
wurde, enthielt nur die sechs großen Kreuzer, die 1900 vom Reichstag
gestrichen, aber sofort von mir als Nachforderung für 1906 angekün-
digt worden waren. Ferner konnte ich nicht umhin, vom Reichstag die
erhöhten Mittel zu fordern, welche der übergang zum Dreadnoughtbau
verursachte, zu dem uns, wie alle anderen Marinen der Welt, die Eng-