Full text: Auswahl für das Feld.

Noch heute wiederholt mancher deutsche Heißsporn die grimmige 
Frage Alfieris: ob ein Mann voll Bürgersinnes unter dem Joche 
der Gewaltherrschaft es verantworten dürfe, Kinder zu erzeugen? — 
Wesen ins Dasein zu rufen, welche, je wacher ihr Gewissen, je 
fester ihr Rechtsgefühl, nur um so schwerer leiden müssen unter 
jener Verkehrung aller Begriffe von Ehre, Recht und Scham, 
womit die Tyrannei ein Volk verpestet? Aber es ist den Völ- 
kern geschehen, was Alfieri an sich selbst erlebte. Als er im 
Mannesalter das wilde Pamphlet „über die Tyrannei“ heraus- 
gab, das der Füngling einst in heiligem Eifer niedergeschrieben, 
da mußte er selbst gestehen: mir würde heute der Mut, oder, 
richtiger zu reden, die Wut mangeln, welche nötig war, ein solches 
Buch zu verfassen. Mit ähnlichen Empfindungen blicken heute 
die Völker auf den abstrakten Tyrannenhaß des vergangenen 
Jahrhunderts. Wir fragen nicht mehr: come si debbe morire 
nella tirannide, sondern mit gefaßter, unerschütterlicher Zuver- 
sicht stehen wir inmitten des Kampfes um die politische Freiheit, 
dessen Ausgang längst nicht mehr bezweifelt werden kann. Denn 
auch über diesem Streite hat das gemeine Los alles Menschlichen 
gewaltet, auch diesmal sind die Gedanken der Völker den Zu- 
ständen der Wirklichkeit um ein Großes vorangeeilt. Wie leblos, 
wie unfruchtbar stehen doch die Männer des Absolutismus den 
Freiheitsforderungen der Völker gegenüber! Nicht zwei mächtige 
Gedankenströme rauschen in mächtigem Wogenschwall aufeinander, 
bis endlich aus dem wilden Wirbel eine neue mittlere Strömung 
gelassen entweicht. Nein, ein Strom brandet gegen einen festen 
Damm und bahnt sich durch tausend und tausend Ritzen seinen 
Weg. Alles Neue, was dies neunzehnte Jahrhundert geschaffen, 
ist ein Werk des Liberalismus. Die Feinde der Freiheit wissen 
nur beharrlich zu verneinen oder die Gedanken längst versunkener 
Tage zum Scheine eines neuen Lebens wachzurufen, oder endlich, 
sie entlehnen die Waffen ihren Feinden. Auf der Rednerbühne 
unserer Kammern, mit der freien Presse, die sie den Liberalen 
verdanken, mit Schlagwörtern, die sie den Gegnern abgelauscht, 
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