Full text: Auswahl für das Feld.

die ganz dramatisch gedachte Mahnung: „seid einig, einig, einig!“ 
erschien den jungen Schwärmern wie ein heiliges Vermächtnis des 
Dichters an sein eigenes Volk. 
Die nationale Bühne freilich, worauf seit Lessing alle unsere 
Dramatiker hofften, ist auch durch Schiller den Deutschen nicht 
geschenkt worden, weil kein einzelner Mann sie zu schaffen ver— 
mochte. Schiller strebte nach einem nationalen Stile, der das Echte 
und Große der älteren Dramatik, den Gestaltenreichtum, die be— 
wegte Handlung und die tiefe Charakteristik Shakespeares, den 
lyrischen Schwung der antiken, und die strenge Komposition der 
französischen Tragödie bewußt und selbständig in sich vereinigen 
und darum dem Charakter unserer neuen Bildung entsprechen sollte. 
Aber es fehlte dem Dichter der lebendige Verkehr mit dem Volke. 
Nur der brausende Jubelruf einer großstädtischen Hörerschaft zeigt 
dem Dramatiker, wann er das allen Gemeine, das wahrhaft Volks- 
tümliche gefunden hat. Die Handvoll trübseliger Kleinbürger im 
Parterre des weimarischen Theaterschuppens waren kein Volk, und 
die vornehmen Schöngeister in den Logen des Hofes zollten den 
Experimenten geistreich spielender Willkür den gleichen, ja vielleicht 
noch lebhafteren Beifall wie dem einfach Großen. Es fehlte den 
Deutschen überhaupt, wie Goethe klagte, „eine Nationalkultur, die 
den Dichter zwingt, die Eigenheiten seines Genies ihr zu unter- 
werfen“. Fast nur gebend, wenig empfangend standen die Dios- 
kuren von Weimar ihrem Volke gegenüber, das sie erst empor- 
hoben zu reinerer Bildung. Darum sind beide nach mannigfachen 
Versuchen mit Trilogien und Einzeldramen, mit Jamben und Reim- 
paaren, mit Chorgesängen und melodramatischen Einlagen doch 
nicht dahin gelangt, für unser Drama eine Kunstform zu schaffen, 
die als die nationale anerkannt wurde. Wie die feierliche, über- 
trieben pathetische Deklamation der weimarischen Schauspieler im 
übrigen Deutschland nicht zur Herrschaft kam, so trieben auch die 
dramatischen Dichter nach Willkür und Laune ihr Wesen, jeder 
von vorn beginnend, jeder bemüht durch neue Künste und Künste- 
leien alle anderen zu übertreffen. Unsere Bühne bot ein Bild der 
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