Naturphilosophie oder lernte befriedigt aus Galls Schädellehre,
wie leicht und spielend der geniale Mensch die dunkelsten Probleme
der Psychologie und Naturwissenschaft bewältigen könne. Alle
Schäden der Uberbildung begannen sich zu zeigen; der geistige
Hochmut stellte launisch die welterhaltenden Gesetze des sittlichen
Lebens in Frage, schaute mit geringschätzigem Lächeln auf den mo-
ralischen Pedanten Schiller herunter. Schwächere Naturen ver-
fielen einer übergeistreichen Mattherzigkeit, lernten alle Dinge von
allen Seiten zu betrachten und verloren inmitten der entgegenge-
setzten Gesichtspunkte, welche der Gedankenreichtum der Zeit einem
jeden darbot, die Kraft zu selbständigem Denken und Wollen; wer
eine historische Erscheinung theoretisch erklärt und verstanden hatte,
wähnte sie auch gerechtfertigt zu haben.
Gleichwohl ist die romantische Dichtung für unser Leben über-
aus fruchtbar geworden, weniger durch ihre eigenen Kunstwerkte,
als durch die Anregung, die sie der Wissenschaft gab, durch den
neuen weiten Gesichtskreis, den sie dem gesamten Fühlen und
Denken der Nation erschloß. Sie verfeinerte und vertiefte das
Naturgefühl, weckte das Verständnis für die Seele der Landschaft,
für den ahnungsvollen Zauber der Waldeinsamkeit, der Felsenwildnis,
der moosbedeckten Brunnen. Das achtzehnte Jahrhundert hatte sich,
gleich den alten, in der reichangebauten fruchtbaren Ebene wohl-
gefühlt, die neue Zeit suchte nach den romantischen Reizen der
Natur; die Jugend lernte die unschuldigen Freuden der frischen,
freien Wanderlust wieder schätzen, das Volk bis tief in die Mittel-
stände herab ward nach und nach um eine Fülle neuer Anschau-
ungen reicher. Die Welt des Märchenhaften, Geheimnisvollen,
Dunkelklaren wurde jetzt erst der deutschen Dichtung ganz erschlossen.
Ihre Traumgestalten traten nicht so rund, klar und fertig heraus
wie die Gebilde der klassischen Kunst; doch sie hoben sich ab von einem
tiefen Hintergrunde und schienen ins Unendliche hinauszudeuten, und
über ihnen lag der Dämmerschein der „mondbeglänzten Zaubernacht,
die den Sinn gefangen hält“. Uralte, längst verschollene Emp-
findungen des germanischen Volksgemüts wurden wieder lebendig.
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