Full text: Auswahl für das Feld.

Prägnanz des Dramas den Dichter, seinen Menschen offenherzige 
Geständnisse in den Mund zu legen, welche der phantasielose Ver— 
stand unnatürlich findet; doch die helle Selbsterkenntnis, welche 
Hebbel seinen Charakteren leiht, überschreitet zuweilen die Grenzen 
der poetischen Wahrheit, und wie selten schallt aus diesen Menschen 
der volle Brustton naturwüchsiger Leidenschaft heraus, den, wie 
alles Herrlichste in der Kunst, keine Anstrengung des Hirns er— 
klügeln kann! 
Es klingt wie ein unwillkürliches Selbstbekenntnis, wenn dieser 
zwischen dem Reiche des Gedankens und dem Reiche der Phan— 
tasie einherschwankende Geist einmal ausruft: 
Ein Shakespeare lächelt über Alle hin 
und offenbart des Erdenrätsels Sinn, 
indes ein Kant noch tiefer niedersteigt 
und auf die Wurzel aller Welten zeigt. 
Der Denker verachtet den stofflichen Reiz, das Anekdotenhafte in 
der Kunst, er will nicht „der Auferstehungsengel der Geschichte“ 
sein. Er fühlt, daß die moderne Bildung ein Recht hat, über 
die Tragik Shakespeares hinauszugehen und eine Tragödie der 
Idee, nach dem Vorbild des Faust, zu fordern; und so fest hält 
er diesen Gedanken, daß er niemals versucht, eine einfache Charakter— 
tragödie zu schreiben. Die bunte Fülle des Menschenlebens reizt 
ihn nur, wenn sie ihm ein „Problem“, einen Kampf der Ideen 
zur Lösung darbietet. Unter allen Rätseln des Menschendaseins 
hat ihn keines so anhaltend beschäftigt wie das Verhältnis von 
Mann und Weib; von der Judith bis herab zu den Nibelungen, 
in den mannigfachsten Formen versucht er dies große Problem 
künstlerisch zu gestalten, immer tiefsinnig und mit starkem Gefühle, 
doch zuweilen spielt auch die häßliche Uberfeinerung moderner Sinn- 
lichkeit in seine Bilder hinein. 
Ganz modern ist auch seine Anschauung der Geschichte: er sieht 
in ihr nicht wie Shakespeare die ewig gleiche sittliche Weltordnung, 
die sich immer wieder herstellt, wenn die Leidenschaft des Menschen 
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