monische Charaktere, denn ein schönes Gleichmaß besteht zwischen
ihrer Kraft und ihrem Streben. Wie hoch ragen sie empor über
die unerträglichen Durchschnittsmenschen, deren Zahl heute so er—
schrecklich anschwillt, welche jetzt eine Bemerkung über die Sixtinische
Madonna, dann ein Urteil über den Bonapartismus, dann wieder
eine Betrachtung über die Dampfmaschinen zu sagen wissen, selten
eine Dummheit, aber noch seltener etwas Gescheites, und sicherlich
niemals eines jener derben urkräftigen Worte, wobei dem Freunde
des Menschlichen das Herz im Leibe lacht, wobei der Hörer im
stillen aufjubelt: das war er, so, gerade so konnte nur er sprechen.
— Die Gegenwart rühmt sich mit vollem Rechte, daß zu keiner
Zeit Wohlstand und Bildung über so weite Kreise der Menschen
verbreitet gewesen. Dafür lebt in der heutigen Gesellschaft ein
starker Trieb, nichts zu dulden, was über ein, allerdings liberales,
Maß der Empfindung und des Denkens hinausgeht, und von
jener großen Lehre Humboldts nur die Schale — die Vielseitig-
keit der Bildung — zu bewahren, nicht aber den Kern, die Eigen-
tümlichkeit der Bildung und der Kraft. Gab es vordem eine
Zeit, wo die Willkür, die schrankenlose Unbändigkeit der Personen
den Bestand der Gesellschaft gefährdete, boten spätere Tage das
immerhin noch bunt bewegte Schauspiel mannigfaltiger Standes-
sitten, so hat die Gegenwart zu fürchten, daß mit langsamem, un-
widerstehlichem Drucke die Sitten und Begriffe der einen guten Ge-
sellschaft die Eigenart persönlicher Neigungen und Gedanken ersticken.
Wir reden hier nicht von irgendwelchem gewaltsamen Zwange.
Die natürlichsten vielmehr, die großartigsten Errungenschaften der
modernen Kultur verstärken von selbst diesen Drang der Gesell-
schaft, die einzelnen nach einem gleichmäßigen Muster zu bilden.
Wir pochen auf unseren vielseitigen Geist, unser Gemüt ist von
einer erstaunlichen Reizbarkeit, wir haben gelernt, uns über die
mannigfaltigen Geheimnisse der Menschenbrust mit einer Offenheit
Rechenschaft zu geben, welche jedem Helenen schamlos scheinen
würde. Aber sind wir empfänglicher, reizbarer geworden, so leben
wir auch sehr rasch. Eine Fülle von äußeren Eindrücken stürmt
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