Full text: Auswahl für das Feld.

auf uns ein, wovon viele an einem minder gebildeten Geschlechte 
unbemerkt vorüberrauschen würden, doch nur sehr wenige berühren 
uns tief und gewaltig, und die meisten Menschen leben dahin halb 
bewußtlos unter dem unaufhörlichen Andrang innerer und äußerer 
Erlebnisse. Auf Zeitersparnis ist alles in dieser geschäftigen Welt 
berechnet, sogar unsere Kleidung. Selbst zur Erholung hat man 
keine Zeit; man will zugleich sich bilden, man liest „historische 
Romane“ und schmeichelt sich neben der Erheiterung zugleich ein 
Stück Weltgeschichte gratis in die Tasche zu stecken. Aus tausend 
und tausend Erscheinungen des täglichen Lebens klingen uns Goethes 
tiefernste Worte entgegen: 
Daß in ewiger Erneuung 
Jeder täglich Neues höre, 
Und zugleich auch die Zerstreuung 
Jeden in sich selbst zerstöre. 
In diesem atemlosen Treiben geht den meisten der Sinn für 
das Große gänzlich verloren. Noch am häufigsten finden wir 
das Verständnis für echte Größe unter den Frauen, denn sie sind 
weniger beschäftigt und bewähren die schöne Sicherheit des natür- 
lichen Gefühls. Auch tüchtige Männer sehen heute die Dinge 
allein darauf an, ob sie nützlich oder auffällig und interessant sind. 
Endlich, die wenigen Eindrücke, welche bestimmend auf uns 
einwirken, sind leider für die Mehrzahl der Menschen die gleichen. 
Denn unsere Bildung ist so uralt und überschwenglich reich; wir 
haben, ehe wir selbst an dem Fortbau der Welt mitarbeiten 
können, eine solche Masse Stoffes — und wie vieles leider auf 
Treu und Glauben — in uns aufzunehmen, daß gar mancher 
über der harten Arbeit des Empfangens nie zu einem selbstän- 
digen Urteile gelangt. Mit jedem Fortschritte der Kultur wird 
die Erziehung zwar humaner, aber auch gleichmäßiger, wird eine 
immer anwachsende Anzahl von Menschen mit den gleichen Kennt- 
nissen, den gleichen Anschauungen erfüllt und gewöhnt, über ge- 
wisse Fragen eifrig nachzudenken, andere zur Seite liegen zu 
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