Full text: Das Interregnum.

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nach der entgegengesetzten Richtung bewegt sich eine Theorie, die 
man für längst überwunden zu halten berechtigt wäre, wenn sie nicht 
in neuerer Zeit von Neuem litterarische Verwerthung gefunden hätte 
— die Theorie von der Identität des Herrschers und des 
Staates.) Einen ebenso grossen Rückschritt bedeutet im Grunde 
der namentlich von SEYDEL mit scharfer Waffe verfochtene Gedanke, 
dass der Staat das Objekt der Gewalt des ihn beherrschenden, ihm 
ungleich allein mit Willen begabten Herrschers sei?), eine Idee, 
über die man neuerdings noch hinausgegangen ist, indem man aut 
Grund angeblich empirischer Betrachtungsweise den Staat weder als 
Subjekt noch als Objekt einer Herrschaft, sondern lediglich als den 
Zustand der Beherrschung einer Menschenmasse durch den 
Willen eines herrschenden Individuums auffasste.*) 
Auf das Interregnum angewandt, führen die eben einander ent- 
gegengestellten Ansichten zu gerade entgegengesetzten Konsequenzen. 
Immer vorausgesetzt, dass die Herrschaft zu eigenem Rechte im 
Zwischenreiche, wie oben ausgeführt wurde, von dem weggefallenen 
Monarchen nicht auf ein anderes physisches Subjekt übergeht, so 
muss die erste der eben angeführten Meinungen über die Stellung 
des Monarchen in dem Fehlen des Herrschers, den sie nur als ein 
Organ des Staatswillens anerkennt, eine für Existenz und Wesen des 
Staates und der Staatsgewalt als solcher schlechthin unwesentliche, 
vorübergehende Erscheinung erkennen; dagegen wird die zweite, den 
Staat und den Herrscher gleichsetzende Theorie, sowie die Ansicht, 
dass der Träger der Staatsgewalt begriffliches Erforderniss des 
Staates selbst sei, im Zwischenreiche den völligen Zusammenbruch 
des Staates, die vollkommene Anarchie begreifen, und ebenso muss 
die „empirische“ Staatslehre in dem des Herrschers beraubten Staate 
einen gar keiner Willenssphäre untergeordneten, ungeordneten Haufen 
  
1) S. z. B. BornHag, Preuss. Staatsrecht I. S. 64f., 128f. u. ö. 
2) Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, insbes. S. 4ff; Commentar zur 
Verfassungsurkunde für das deutsche Reich S. XIf. 99 u. ö.; Hirths Annalen (1876) 
S. 653; Bayrisches Staatsrecht I. S. 352ff. u. ö.; vgl. auch Zeitschr. f. d. ges. 
Staatswissensch. XXVIII. S. 187. — Gegen SEYDEL besonders GIERKE, Zeitschr. 
f. d. ges. Staatswissensch. XAX. S. 171 fl. — Neuerdings hat v. Hıcens in seiner 
Dissertation „Staat, Recht und Völkerrecht* die SexpeLsche Meinung zu ver- 
theidigen unternommen. 
3) S. besonders Lines, Empirische Untersuchungen zur allgemeinen Staats- 
lehre S. ı8f., 55ff. u. ö. Gegen ihn die treffenden Ausführungen von PRreuss, 
Archiv £. öffentl. Recht VI. S. 163ff.; Tezuer, Grünhuts Zeitschr. XVII. S. 530 ff.; 
JELLINEE, System der subjektiven Öffentlichen Rechte S. 25f.
	        
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