232. Der Pilgrim von St. Just. — 233. Lukas Kranach. 281
232. Der Pilgrim von St. Just.
Nacht ists, und Stürme sausen für und für:
Hispansche Mönche, schließt mir auf die Thür!
Kaßt hier mich ruh'n, bis Glockenton mich weckt,
Der zum Gebet euch in die lirche schreckt!
Bereitet mir, was euer Haus vermag,
Ein Ordenskleid und einen Sarkophag!
Gönnt mir die kleine Selle, weiht mich ein!
Mehr als die Hälfte dieser Welt war mein.
Das haupt, das nun der Schere sich bequemt,
Mit mancher Krone ward's bediademt.
Die Schulter, die der Kutte nun sich bückt,
Hat kaiserlicher Hermelin geschmückt.
Nun bin ich vor dem Tod den Lodten gleich
Und fall in Trümmer wie das alte Reich.
233. Lukas Kranach.
Lukas Kranach war der gröfste Maler seiner Zeit und
ein Mann von edlem Herzen. Schon in seinem neunzehnten
Lebensjahre nahm ihn der Kurfürst Johann Friedrich von
Sachsen mit auf eine Reise in das gelobte Land. Nach der
Rückkunft in das Vaterland berief der Kurfürst den jungen
Maler, dessen Eigenschaften er schätzen gelernt hatte, an
seinen Hof nach Wittenberg und ernannte ihn zum Bürger-
meister dieser Stadt.
Als später Johann Friedrich in dem Schmalkaldischen
Kriege in die Gefangenschaft Kaiser Karls V. gerathen war,
liels derselbe, der sich bei der Nennung des Namens Lukas
Kranach erinnerte, dass dieser ihn als Knabe gemalt hatte, ihn
zu sich in das Lager kommen. „Wie alt war ich damals, als
Du mich maltest?“ fragte der Kaiser. „Eure Majestät,“ ant-
wortete Kranach, „Zählten acht Jahre. Es gelang mir nicht
eher, Eure Majestüt zum Stillsitzen zu bringen, als bis Dero
Hofmeister verschiedene Waffen an die Wand hängen liels.
Unterdessen, dass Dieselben diese kriegerischen Instrumente
mit unverwandten Augen betrachteten, hatte ich Zeit, 1Ihr
Bild zu entwerfen.“ Das Gesicht des Kaisers erheiterte sich
bei dieser Erinnerung. „Bitte Dir eine Gnade von mir aus,
Maler!“ sagte er. Demüthig fiel ihm Kranach zu Fülsen und
bat mit Thränen in den Augen um die Freiheit seines Landes-
herrn. Der Kaiser gerieth in Verlegenheit; sein Herz war
durch den gerechten Wunsch eines frommen Unterthanen ge-
rührt, und doch glaubte er, den rechtschaffenen Kranach
vorerst abweisen zu müssen. „Du bist ein braver Mann,“
Sagte er zu ihm; „aber lieber hätt’' ich Dich, wenn Du um
etwas anderes gebeten hättest.“