76 71. Der Staar von Segringen.
ans Ufer, so läuft sie beutesuchend so schnell dahin, daß das
Auge ihren Schrittchen kaum folgen kann. Plötzlich tritt sie auf
einen blankgespülten Stein, badet und trinkt. Auf einmal fährt
sie in die Höhe, um die schweifende Mücke zu erhaschen.
In Summa :n Unter dem kleinen Federvolke ist außer der
Schwalbe kein Dogel anmuthiger, gewandter und zuthulicher,
als die ZBachstelze.
71. Der Staar von Segringen.
Selbst einem Staaren kann es nützlich sein, wenn er etwas
gelernt hat, wie viel mehr einem Menschen.
In Segringen der Barbier hatte einen Staar, und der
Lehrjunge gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Staar lernte
nicht nur alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab,
sondern er ahmte zuletzt auch selber nach, was er von seinem
Herrn hörte, zum Exempel: „Ich bin der Barbier von
Segringen.“ Sein Herr hatte sonst noch allerlei Redensarten
an sich, die er bei jeder Gelegenheit wiederholte;: zum Exempel:
„So so, la lal!“ oder: „Par Compagnie“ (das heißt so viel
als: „In Gesellschaft mit Andern"), oder: „Wie Gott will“,
oder: „Du Tolpatsch!“ So titulirte er nämlich insgemein den
Lehrjungen, wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich
anstatt aufs Tuch, oder wenn er das Schermesser am Rücken
abzog, anstatt an der Schneide, oder wenn er ein Fläschlein
zerbrach. Alle diese Redensarten lernte nach und nach der Staar
auch. — Da nun täglich viele Leute im Hause waren, weil
der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's manch-
mal viel zu lachen. Wenn die Gäste mit einander ein Gespräch
führten, so warf der Staar auch eins von seinen Wörtern drein,
das sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte.
Rief der Lehrjunge: „Hansel, was machst du?“ so antwortete
er: „Du Tolpatsch!“ — und alle Leute in der Nachbarschaft
wußten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als
ihm die beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren und das
Fenster offen und das Wetter schön war, da dachte der Staar:
„Ich habe jetzt schon so viel gelernt, daß ich in der Welt fort-
kommen kann“, und — husch zum Fenster hinaus! Weg war er.
Sein erster Flug ging ins Feld, wo er sich unter eine Gesell-
schaft anderer Vögel mischte, und als sie aufflogen, flog er mit
ihnen; denn er dachte: Sie wissen die Gelegenheit hier zu Lande
besser als ich. Aber sie flogen unglücklicherweise alle mit
einander in ein Garn. Der Staar sagte: „Wie Gott will“.
Als der Vogelsteller kommt und sieht, was er für einen großen
Fang gethan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern
behutsam heraus, dreht ihm den Lals um und wirft ihn auf
den Boden. Als er aber die mörderischen Finger wieder nach-