106 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. §l 11.
Fall der Hilfsbedürftigkeit (Art. 13 Abs. 1 b). An diesen Grundbestimmungen des
bayerischen öffentlichen Eheschließungsrechts ist auch durch den Eintritt Bayerns
in das Reich nichts geändert worden, da nach dem in Ziff. I. des Schlußprotokolls,
zum Versailler Vertrag vom 23. November 1870 enthaltenen Vorbehalt das norddeut-
sche Bundesgesetz vom 4. Mai 1868 die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der
Eheschließung betr. in Bayern nicht zur Einführung kam (oben S. 29). Die gleich-
wohl durch das Reichsrecht bedingten Aenderungen an dem Gesetze vom 16. April 1868.
welche in die Novelle vom 23. Februar 1872 Aufnahme gefunden haben, betreffen
allerdings auch nur zum Theile den Titel: Von der Verehelichung. Auch das Reichs-
gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar
1875 hat diese landesgesetzlichen Bestimmungen wesentlich unberührt gelassen 1), es wird
vielmehr durch diese in seiner Anwendung in Bayern nicht unerheblich modifizirt 2),
während es freilich andererseits wieder für die Ausführung des bayerischen Gesetzes
von nicht geringer Bedeutung namentlich dadurch geworden ist, daß es die civilrecht-
lichen Voraussetzungen der Ausstellung des Verehelichungszeugnisses regelt. Dagegen
ist neuerdings durch Königliche Deklaration vom 2 1. April 1884 (G.= u. V.-Bl. S. 123 ff.)
einem aus der Initiative des Landtags hervorgegangenen Gesetzentwurfe Gesetzeskraft ertheilt
worden, welcher die im Gesetze vom 16. April 1868 auf ein verhältnißmäßig geringes
Maß zurückgeführten Gründe, aus denen die Heimathgemeinde des Mannes gegen die
Eheschließung hindernden Einspruch erheben kann, in nicht unerheblicher Weise vermehrt.
Die Ausstellung des Verehelichungszeugnisses ist nicht für alle innerhalb Bayerns
oder von bayerischen Staatsangehörigen außerhalb Bayerns zu schließenden
Ehen Voraussetzung der rechtmäßigen Eingehung ). Es ist vielmehr zu unterscheiden
zwischen den Eheschließungen der Bayern und den innerhalb Bayerns von Nicht-
bayern vorzunehmenden, und wiederum bei den ersteren zwischen den von Angehöri-
gen der diesrheinischen Landestheile und den von in der Pfalz heimathberech-
tigten Männern beaabsichtigten Eheschließungen, während in Fällen der zweiten Art
in Frage kommt, ob ein nichtbayerischer Angehöriger des Deutschen Reichs
oder ob ein Ausländer in Bayern eine Ehe schließen will. Frauen für sich
bedürsen zur Eheschließung in Bayern überhaupt keines Verehelichungszeugs-
nisses, also insbesondere auch nicht Bayerinnen, welche in der Pfalz heimath-
berechtigte Männer oder Nichtbayern heirathen wollen ).
a) Angehörige der Landestheile diesseits des Rheins dürfen sich
nach wie vor nur verehelichen auf Grund eines von der Distriktspolizeibehörde ihrer
Heimathgemeinde (Bezirksamt oder Magistrat einer unmittelbaren Stadt) ausgestellten
Zeugnisses, daß gegen die beabsichtigte Eheschließung kein im Gesetz vom 16. April
1868 begründetes Hindernif bestehe 3) (Art. 33 Abs. 1, 3). Die Voraussehtzungen, von
1) Dasselbe gilt von dem als Reichsgeseh in Bayern (durch das Reichsges. vom 22. April
1871 § 2 I1. 12) eingeführten norddeutschen Bundesgesetz vom 4. Mai 1870, die Eheschließung und
die Beurkundung des Personenstandes von Bundesangehörigen im Auslande betr., welches in § 3
auf „die zur Eingehung einer Ehe nach den Gesetzen der Heimath der Verlobten nothwendigen Er-
sordernisse“ ausdrücklich Bezug nimmt. ½•§5 4 "
2) Das bayerische Gesetz vom 2. Mai 1868 (G.-B. S. 45 ff.), inhaltlich dessen die Ehe
unter Brautleuten, von denen kein Theil Mitglied einer im Staate anerkannten Re-
ligionsgesellschaft ist, durch eine Verhandlung vor Gericht (bürgerliche Trauung) ge-
schlossen wird (Art. 3), ist durch das Reichsges. vom 6. Februar 1875 ausgehoben.
3) Zu weit geht die Behauptung Löning's, Deutsches Verwalkungsrecht S. 719, daß „ in
den rechtsrheinischen Landestheilen überhaupt“ eine Ehe gültig nur auf Grund eines distrikts-
polizeilichen Verehelichungszeugnisses geschlossen werden lönne.
4) v. Riedel und v. Müller, Commentar S. 183 Ziff. 3. * n
5) Daß dieses Zeugniß „den Charakter einer polizeil ichen Erlaubnißertheilung