§ 11. Die Rechte der Unterthanen. 165
Im Einklange mit der Anerkennung des Grundsatzes der Gewissensfreiheit ist in der
II. Verfassungsbeilage (§ 11) ausdrücklich beslimmt, daß durch die Religionsänderung zwar alle
kirchlichen Gesellschaftsrechte der verlassenen Kirche verloren gehen, daß dieselbe aber „keinen Einfluß
auf die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte, Ehren und Würden“ habe. Der dieser Anerken-
nung beigefügte Vorbehalt für den Fall des Uebertrittes zu einer Religionspartei, welcher nur
eine, efeschränkte Theilnahme an dem Staatsbürger-Rechte gestattet ist“, ist nunmehr bedeulungslos
geworden
4. Als nothwendige Folgerung aus der Anerkennung des Grundsatzes der Gewissens-
freiheit kommt endlich auch die Anerkennung des Rechtes der religiösen Kinder-
erziehung in Betracht. Erscheint dieses Recht zunächst als ein Bestandtheil des elter-
lichen Erziehungsrechtes ), so sind doch für die Anerkennung desselben den möglichen
Einwirkungen der Staatsgewalt gegenüber und ebenso für die nähere Regelung desselben
Rücksichten des öffentlichen Interesses maßgebend und im Zusammenhange hiemit ist
auch ein diesem Rechte zu gewährender öffentlich rechtlicher Rechts schutz als durch-
aus gerechtfertigt anzusehen?).
In der V.-U. findet sich allerdings eine allgemeine ausdrückliche Anerkennung
dieses Rechtes der religiösen Kindererziehung nicht, wohl aber ist, wesentlich unter dem
Gesichtspunkt der Regelung der Mitgliedschaft an Religionsgesellschaften, in der zweiten
Verfassungs-Beilage eine Reihe von Bestimmungen über die „Religionsver khältnisse
der Kinder aus gemischten Ehen“ getroffen, in denen einerseits jenes allgemeine
Recht der religiösen Kindererziehung ganz unzweifelhaft vorausgesetzt ist, während sie
andererseits ganz bestimmte Beschränkungen desselben enthalten ).
Glaubensbekenntnisses und die nach 8 10 zu beobachtenden Formvorschriften nur aufe öffent-
liche Kirchengesellschaften" Anwendung zu finden hätten, nicht aber für den
Uebertritt von einer nicht mit den Rechten öffentlich ausgenommener Schbeabersclcgrg ver.
sehenen sog. Privat -Kirchengesellschaft zu einer von jenen Kirchengesell-
schattten Anwendung finorn könnten (agl namentlich M.-E. vom 14. Mani 1820 und 22. Sept.
851, Döllinger Bd. 1 S. 32, XXIII S. 20 ff. Weitere hier einschlagende M.-E. a. a. O.
1 XXII S. 19. 21. un einem JLS andern Standpunkte geht die bei Weber, Neue
Eesetz- und Verordnungen-Sammlung Bd. IV S. 534 ff. aus der als Beilage zu den Bl. für
adm. Praxis eine Zeit lang herausgegebenen Sammlung von prinzipiellen Erlassen
1855 S. 20 ff. abgedruckte M.-E. vom 20. Aug. 1852 aus, insoferne sie die 99 5. 6 der II. Verf.-Beil.
auf alle anerkannten Religionsgesellschaften anwendbar erklärt.) Allein wie nach dem Zu-
sammenhang von §9 6 des Rel.-Ed. mit 8 5 zweifellos ist, daß jener Paragraph sich auf „jeden
taatseinwohner ' bezieht, der eine Wahl des Glaubenobekenntnisses treffen will, wie über-
haupt die Vorschriften des Rel.-Edikts über die Wahl des Glaubensbekenntnisses den im I. Ab-
schnitte desselben enthaltenen allgemeinen Bestimmungen über Religionsver--
hältnisse“ angehören, so ist es nach dem Sprachgebrauche des Rel. Eoines ganz zweifellos,
daß die Ausdrücke Kirche und Kirchengesellschaft von jeder staatlich aner-
kannten Religionsgemeinschaft brten. sollen und vollkommen shnonym mit den Be-
zeichuungen Religionsgemeinschaft, Religionstheil, Religionspartei ver-
wende werden, wie bemmauch den -ienkli faen Airchengeesel###chase#nn , die Privat-
Kirchengesellschaften“, „nicht öffentlichen Kirchengesellschaften“ gegenleer
gestellt wechen Namentlich die rnx- uh des Ediltes enthalten lahlreiche Nachweise für
diesen Sprachgebrauch, u0s namentlich § 38 (. Privatltrchengesellschaft — ihrer Kirche — einer
Kirche“) und Abschnitt 1IV Kap. l die Eck-perst und 8§ 80—82 („Religionsgesellschaft — Kirchen
— Religionsparteien — Lirchengesellschalt — 8 5 Auch in dem mehrfach erwähnten
Judenedikte vom 10. Juni 1813 (oben 14. 161) wird von „kirchlichen (Kirchen ) Ge-
meinden der Juden, , lichen Verrichtungen der Rabbiner, jüdischem Kirchen vermögen“
Vesprochen (§§ 24—26. 30. 31). Diesem Allem entspricht es, daß in § 10 der II. Verf.-Beil. von
„dem Pfarrer oder geistlichen Vorstande“ einer Kirche die Rede ist. Uebereinstimmend
mit der hier vertretenen Anschauung der Aufsatz in den Bl. f. adm. Praxis Sr IV S. 81
(6), ferner E. Mayer S. 141 ff., 146 Anm. 12 und Reinhard S. 191 ff.,
1) Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts Bd. IV Berl. 1884. S. 7 ff., b#l— auch
Sammlung d. Entsch, d. Verwaltungsgerichtshofs Bd. IV S. 162, Bd. V S. 141 ff.,
2) A. A. v. Sarwey, das öhenkeich Recht S. 297.
3) Die Bestimmungen, welche in Abschn. 1 Kap. 3 der II. Verf.-Beil. unter der freilich
nicht ganz zutreffenden Ueberschrift: „Religions-Verhältniß der Kinder aus gemischten Ehen" ent-
halten sind, haben zu großen Meinungsverschiedenheiten in der Literatur und in der Praxis Ver-