28 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. 85.
vom gleichen Datum. Nachdem über die Zustimmung zu diesen Verträgen der Gesammt-
beschluß beider Kammern des Landtages (die Kammer der Reichsräthe hatte am 30. De-
zember 1870, die der Abgeordneten am 21. Jannar 1871 ihre Zustimmung beschlossen)
erfolgt war und zwar unter den für die Abänderungen der bayerischen Verfassung, wie sie
durch die Verträge bedingt waren, nach Tit. X. & 7 der Verfassungsurkunde erforderlichen
Formen, und nachdem am 29. Januar zu Berlin die Auswechslung der Ratifikationen
stattgefunden hatte, erging am 30. Januar die königliche Deklaration, durch welche den
in den Verträgen enthaltenen Bestimmungen, welche den verfassungsmäßigen Wirkungs-
kreis des Landtages berühren, gesetzliche Kraft und Geltung ertheilt und die Publikation
und Vollziehung dieser Verträge verfügt wurde 0.
Bayern ist sonach seit dem 1. Jannar 1871 (gemäß der von den Kammern
gleichfalls genehmigten Bestimmung in Ziffer VI. des Vertrages vom 23. November
über den Beginn der Wirksamkeit dieses Vertrages) ein Theil des Deutschen Reiches.
Ist so Bayern einerseits der Reichsgewalt untergeordnet und hat die Reichsgewalt
die ihr nach der Verfassung und den Gesetzen des Reiches zustehende Wirksamkeit an
und für sich auch Bayern gegenüber zu üben, so hat andererseits Bayern seinen bestimmten
Antheil an der Staatsgewalt und Souveränetät des Reiches. Wenn demnach die
Stellung Bayerns im Reiche im Allgemeinen derjenigen der andern deutschen Einzel-
staaten gleichartig ist, so ist diese Stellung doch insofern eine eigenartige, als
theils Bayerns Antheil an der Organisation und Willensbildung des Reiches, theils der
Umfang der seiner Staatsgewalt dem Reiche gegenüber verbliebenen Zuständigkeit beson-
ders bemessen ist. Nach beiden Seiten hin bestehen Berechtigungen Bayerns, die in
gleicher Weise andern Staaten nicht, zum größten Theile ihm allein zukommen, die
darum wohl als Sonderrechte bezeichnet werden können, während der Ausdruck
Reservatrechte nur auf die zweite Gruppe derselben, in der eine Bayern besonders
vorbehaltene Zuständigkeit gegenüber der Reichskompetenz enthalten ist, Anwendung
finden kann. Die Bestimmungen über diese Sonderrechte Bayerns, ursprünglich in
dem Vertrag vom 23. November und in dem Schlußprotokoll zu demselben enthalten,
sind bei der Neuredaktion der Reichsverfassung vom 16. April 1871 zumeist als Bestand-
theile derselben erklärt worden, und sind insofern des besonderen Schutzes von Art. 78
Abs. 2 der Reichsverfassung theilhaftig geworden, so daß sie nur mit Zustimmung
Bayerns im Bundesrathe abgeändert werden können. Einige weitere Ausnahmen zu
Gunsten Bayerns sind in besonderen Reichsgesetzen enthalten.
Es mag hier eine kurze Uebersicht über diese besonderen Rechte Bayerns gegeben
werden 2). Der eigenthümliche Antheil Bayerns an der Organisation und Willensbildung
des Reiches zeigt sich wesentlich in seiner Stellung im Bundesrathe. Wie
Bayern nach Art. 6. der Reichsverfassung sechs Stimmen im Bundesrathe führt,
entgegen dem für die Stimmenvertheilung, wie ausdrücklich nach der norddeutschen Bundes-
verfassung so deutlich erkennbar auch nach der deutschen Reichsverfassung maßgebenden
Vorbilde der Stimmenvertheilung im Plenum des deutschen Bundestages von 1815, wornach
Baiern nur vier Stimmen zukommen würden — so hat Bayern nach Art. 8 Abs. 2, 3
der Reichsverfassung einen ständigen Sitz in dem Ausschusse des Bundes-
raths für das Landheer und die Festungen und den Vorsitz im Aus-
schusse für die auswärtigen Angelegenheiten, und nach Ziff. IX des Schluß-
protokolls vom 23. November 1870 auch den Anspruch auf den Vorsitz im Bundes-
5 G. ’ 1870/71 S. 149 ff.
2) Vgl. auch die Zusammenstellung bei Paband, Staatsrecht d. Deutschen Reiches. I.
S. 116, 187 und Pözl, Verfassungsrecht, S. 587 ff.