88. Die Pflichten der Unterthanen. 47
Dagegen erscheint nach wie vor der Besitz „des vollen Staatsbürgerrechts“ als eine der
Voraussetzungen, unter denen die Verleihung der erblichen Mitgliedschaft in der ersten
Kammer (Ernennung zum erblichen Reichsrathe) durch den König stattfinden kann (V. U.
Tit. VI. § 3 Abs. 1). Abgesehen hiervon kommt das Staatsbürgerrecht nach dem
neuesten Stande der bayerischen Gesetzgebung nur noch in gewissem Maße für die
Bildung der Vertretung der Kreisgemeinde und der Distrikts-
gemeinde, des Landrathes und des Distriktsrathes in Betracht. Das
Staatsbürgerrecht ist erforderlich für die Wahlstimmberechtigung und Wählbarkeit bei
der Wahl zur Vertretung des großen Grundbesitzes im Landrath und zum Eintritte in
den Distriktsrath als Bevollmächtigter eines der höchst besteuerten Grundeigenthümer des
Distriktes (Gesetz vom 28. Mai 1852 die Landräthe betr. Art. 8 Abs. 1 und die
Distriktsräthe betr. Art. 4 Abs. 3) 7.
Auch jetzt noch aber ist die bayerische Staatsangehörigkeit Voraus-
setzung der Wahlberechtigung als Urwähler und der Wählbarkeit als Wahlmann
wie als Abgeordneter bei den Wahlen zur Zweiten Kammer des Landtages. Wahl-
gesetz in der Fassung vom 22. März 1881, Art. 5 Abs. 1, 10 Abs. 1, 11). Die
Erwerbung des Gemeindebürgerrechts ist wie die des Heimathrechts
in einer Gemeinde des Königreiches zwar auch Nichtbayern möglich, dieselbe wird
aber erst wirksam, wenn seitens des Erwerbers auch die bayerische Staatsangehörigkeit
erlangt worden ist. (Diesrheinische Gemeindeordnung Art. 14, pfälzische Gemeinde-
ordnung Art. 12, Abs. 1, beide in der Fassung der Novellen vom 19. Jannar 18722)
Heimathsgesetz vom 16. April 1868 Art. 9 in der Fassung der Novelle vom 23. Fe-
bruar 18729.
Ebenso ist die Mitgliedschaft in den Vertretungen der Kommunalverbände höherer
Ordnung, dem Distriktsrathe und dem Landrathe durch die Staatsan-
gehörigkeit bedingt, sofern nicht sogar das volle Staatsbürgerrecht erfordert
wird (Gesetz vom 28. Mai 1882, die Distriktsräthe betr. Art 2 ff., und die Landräthe
betr. Art. 2 ff.)) und das Gleiche gilt von der Wählbarkeit zu den für jeden Rent-
amtsbezirk zum Zwecke der Einsteuerung des Einkommens und der Kapitalrente einer-
seits und der Festsetzung der Einträge in die Gewerbsteuerlisten anderseits zu be-
stellenden Steuerausschüssen und zu den für jeden Regierungsbezirk zur Ent-
scheidung von Berufungen gegen die Beschlüsse dieser Ausschüsse zu bildenden Berufungs-
kommissionen (Gesetze vom 19. Mai 1881 betr. die Einkommensteuer Art. 35, 49,
Abs. 4, die Kapitalrentensteuer Art. 17, die Gewerbestener Art. 32, 45, Abs. 3).
#§*s# 8. Die Pflichten der Unterthanen. I. Allgemeines: die Pflicht zu Treue und
Gehorsam. Die allgemeinen Unterthanenpflichten gegenüber dem Staate und seinen
Organen, wie sie für die Staatsangehörigen aus der Staatsangehörigkeit, für Nicht-
bayern, Reichsangehörige und Ausländer, aus anderen besonderen, das Verhältniß der
Unterordnung begründenden Thatbeständen, namentlich dem Aufenthalte im Staats-
gebiete, hervorgehen, sind auch nach bayerischem Rechte für die einzelnen Klassen dieser
1) Die Wählbarkeit zum Mitgliede des zur Prüfung der Steuererklärungen und Feststellung
der Einträge in die Steuerliste für jeden Rentamtsbezirl zu bestellenden Gewerbesteueraus-
schusses ist zur Zeit ebenfalls nicht mehr von dem bayerischen Staatsbürgerrecht abhängig
(Gewerbesteuergesetz vom 19. Juni 1881 Art. 32) und die früher verhandelte Controverse, ob
die Fähigkeit, zum Geschworenendienste berufen zu werden, von dem bayerischen Staatsbürger-
rechte bedingt sei, ist durch die Bestimmungen des RN. G. V. G. §§ 84, 85 gegenstandslos geworden.
2) Nach der ursprünglichen Fassung der beiden Gemeindeordnungen wurde durch die von
der Distrikts-Polizeibehörde bestätigte Verleihung des Gemeindebürgerrechts durch die Gemeinde zu-
gleich die Staatsangehörigkeit erworben
3) Vgl. auch Pözl, Verfassungsrecht S. 336, 355