Full text: Impf-Friedhof.

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Dr. Klingelhöfer ausführte, veranlaßte mich, im Polizei-Präsidium 
vorzusprechen. Der Inhalt der Unterredung mit dem Polizei- 
dezernenten, Regierungs- Assessor von Bitter, gipfelte in dem denk- 
würdigen, den Tatsachen allerdings entsprechenden Satz: 
Nachdem für uns allein die letzte Entscheidung des Ober- 
verwaltungsgerichtes maßgebend ist, werden wir von der uns 
zur Verfügung stehenden Macht Gebrauch machen und nicht 
davor zurückschrecken, gegebenen Falles die Eltern in Ketten 
legen zu lassen, um die Kinder zum Impfen unter den Betten 
und aus den Schränken hervor zu ziehen. 
h) Der am 13. Mai 1894 geborene Sohn Todtenhagens in 
Heepen bei Bielefeld erhielt nach der Erstimpfung im Jahre 1896 
einen schweren Impfschaden. 8 Tage nach der Impfung trat Lähmung 
ein, die fast 1 Jahr lang anhielt. Zu gleicher Zeit entstanden am 
Arm Hautausschläge, die sich über den ganzen Körper verbreiteten 
und besonders die Arme, den Kopf. Brust und Beine befielen. Der 
Ausschlag war zeitweise so stark, daß das Bett jeden Tag voller 
abgeworfener Borken war. Dieser Zustand blieb bis ins 16. Lebens- 
jahr bestehen. In Gesellschaft konnte er sich nicht sehen lassen, auch 
war es unmöglich, ihn das Handwerk erlernen zu lassen, zu dem er 
die größte Neigung zeigte. Der Vater war selbstverständlich zum 
schärfsten Impfgegner geworden. Die Zweitimpfung dieses Knaben 
erfolgte im Alter von 16 Jahren mit Anwendung von Gewalt. Ein 
Schutzmann holte ihn von der Arbeit ab und erklärte ihn für ver- 
haftet, und sagte, er würde ihm Ketten anlegen, wenn er nicht frei- 
willig mitginge, oder er würde ihm den Polizeihund nachhetzen, wenn 
er den Versuch machen sollte, davon zu laufen. Mit Ausschlag be- 
haftet und so schmutzig wie er war, wurde er von Sanitätsrat 
Dr. Heidsiek in Heepen geimpft. Seine Arbeitsstelle war Oldentrug 
bei Bielefeld. 
i) Für ihre Tochter Luise, die am 3. 7. 1908 in Heepen geboren 
wurde, hatte die Familie Todtenhagen noch Unglaublicheres zu erdulden. 
Ein Arzt hatte bescheinigt, daß das Kind wegen englischer Krankheit 
mit Verkrümmung der Beine bis zum Jahre 1912 nicht geimpft 
werden dürfe. Doch was kümmert sich der Herrgott Polizei in Preußen 
um derartige Dinge. „Ohne vorherige Ankündigung, ohne daß zuvor 
eine polizeiliche Verfügung ergangen wäre, erschienen am 31. 1. 1912 
der Polizeibeamte Kahl und der Impfarzt Dr. Heidsiek in unserer 
Wohnung. Ich, der Ehemann, war nicht anwesend; mir, der Ehefrau, 
wurde kurz gesagt: „Frau Todtenhagen, wir wollen eine Impfung
	        
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