IX. Die Zeit des Ringens nach Einheit und Freiheit. 107
nächste Thronerbe und hieß Prinz von Preußen. Einundzwanzig
Jahre später starb sein Bruder, und Wilhelm wurde König. In der
Schloßkirche zu Königsberg setzte er sich am 18. Oktober 1861 die
Krone auf. Als er aus dem Gotteshause trat und dem Volke sichtbar
wurde, brach die Menge in jubelndes Hurra aus, worauf der König sein
Zepter dreimal gegen das Volk neigte. Im Schlosse empfing er die
Glückwünsche und sprach: „Die Krone kommt mir von Gott; in Demut
habe ich sie aus seinen Häuden empfangen" Bald nach der Thron=
besteigung griff König Wilhelm das Werk der Wiedervereinigung
Deutschlands an und hat es in drei großen Kriegen und einer Menge
Friedensthaten vollendet.
108. Der Krieg gegen Dänemark.
1864.
1. Die deutschen Herzogtümer Schleswig und Holftein standen
seit langer Zeit unter der Regierung des Königs von Dänemark.
Nach dem Rechte der Herzogtümer sollten beide auf ewig ungeteilt
bleiben und nach eigenen Landesgesetzen regiert werden. Die dänischen
Könige behandelten indes die Herzogtümer und insbesondere Schleswig
als dänisches Eigentum und drängten den deutschen Bewohnern dänische
Art und Sprache auf. Ganz Deutschland war darüber empört und
sah die nationale Ehre angegriffen. Preußen und Östreich nahmen sich
der Herzogtümer an. Mitten im Winter 1864 besetzten sie Holstein und
trieben die Dänen bald auch aus Schleswig.
2. Die Eroberung der Düppeler Schanzen war die herrlichste.
Waffenthat in diesem Kriege. — Fußangeln, Eggen, die ihre Spitzen
nach oben kehrten, Gruben und Pallisaden, an deren Kopfenden sich haar-
scharf geschliffene Schwerter krenzten, erschwerten hier den Angreifern
die Annäherung. Vor diesen Hindernissen war ein starker Draht-
zaun. Auch die gegenüberliegende Insel Alsen war mit Schanz-
werken versehen. Am 18. April morgens 10 Uhr begann der Sturm.
Es ertönt ein schmetterndes Hornsignal! Im Augeublicke wiederholt
es sich auf der ganzen Linie. Mit lautem Hurra und unter den
kriegerischen Klängen der Musik brechen die Sturmkolonnen im Lauf-
schritte auf. In wenigen Minuten sind sie am Fuße der Schanzen
angelangt; die Schützen beginnen ihr wohlgezieltes Feuer. Ihnen folgen
die Pioniere und Werkmannschaften mit Pulversäcken zur Sprengung
der Pallisaden, mit Leitern, Brettern, Beilen und anderm Sturm-
geräte, und wieder in einiger Entfernung die eigentlichen Sturm-
kolonnen. Im ganzen sind der Stürmenden 9000 Mann. Bald
knattern auch die Gewehre der Dänen, und ihre Kartätschen sausen
auf die Preußen herab. Aber nichts vermag den Mut der Stürmenden
zu erschüttern; jeder ist nur darauf bedacht, der erste auf der Schanze
zu sein. Die von den Dänen angelegten Bodenhindernisse sind im
Nu überdeckt; jeder Soldat hat zu diesem Zwecke einen zur Hälfte ge-