Full text: Deutsche Geschichte für Schule und Haus nach den Forderungen der Gegenwart für das Königreich Bayern.

118 IX. Die Zeit des Ringens nach Einheit und Fretheit. 
  
und der Geistliche verlas den gerade auf diese Feier so passenden 
21. Psatm: „Du überschüttest ihn mit gutem Segen, du setzest eine 
goldene Krone auf sein Haupt Hdu setzest ihn. zum Segen 
ewiglich denn der König hofft auf den Herrn und wixd durch 
die Güte des Höchsten fest bleiben Sie gedachten dir Ubles zu 
thun und machten Anschläge, die sie nicht konnten ausführen * Mit 
einem brausenden „Nun danket alle Gott!" schloß die kirchliche Feier 
2. Dann erhob sich der König und schritt auf die Erhöhung, 
wo alle Fahnenträger standen. Der Kronprinz stellte sich zu seiner 
Rechten der Bundeskanzler zu seiner Linken, die Fürsten traten hiuter 
ihn. Mit bewegter Stimme sagte der König, daß ihm die Kaiserkrone 
von allen deutschen Fürsten, freien Reichsstädten und den Vertretern 
des Norddentschen Bundes angetragen worden sei, und daß er sie an- 
nehme. In diesem Sinne erlasse er heute folgende Bekanntmachung 
an das ganze deutsche Volk: „Wir übernehmen die kaiserliche Würde 
in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des 
Reiches und feiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die 
Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines 
Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen fie an, in der Hoffnung, daß 
es dem deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner opfer- 
mütigen Kämpfe in dauerndem Frieden zu genießen. Uns aber und 
unsern Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit 
Mehrer des Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern 
an den Gütern und Gaben des Friedens, auf dem Gebiete nationaler 
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung“. 
3. Nach dieser Bekanntmachung trat der Großherzog von Baden 
vor und rief mit lauter Stimme: „Es lebe hoch König Wilhelm, der 
Deutsche Kaiser!“ Unter dem Jubelrufe der großen Versammlung 
ward manches Auge naß, und dem greisen Kaiser stürzten die hellen 
Thränen aus den Augen. Durch ganz Deutschland aber ging ein 
Jubel über die endliche Erfüllung der Sehnsucht des Volkes; die alte 
Sage von der Wiederkehr Barbarofsas war zur Thatsache geworden: 
„Als Friedrich ging er schlafen, 
als Wilhelm stand er auf 
und führt die deutschen Waffen 
zu neuem Siegeslauf“. 
4. Dem greisen Kaiser Wilhelm war es nun eine Lust, die Wohl- 
fahrt des dbeusschen Volkes unter seiner Regierung blühen und gedeihen 
zu sehen. Als Vater des Vaterlandes preisen ihn die Deutschen, und 
als ersten unter gleichen verehrten ihn die Fürsten Europas. Ein schwerer 
Schlag war es darum für Deutschland und eine traurige Botschaft für 
die ganze Welt, als am Morgen des 9. März 1888 der Telegraph 
die Kunde verbreitete: „Kaiser Wilhelm ist gestorben". Er, der noch 
auf dem Sterbebette gemeint hatte: „Ich habe keine Zeit müde zu 
sein“, war nach langem freude= und leidvollem Leben zur ewigen Ruhe 
eingegangen, nachdem er noch achtzehn Jahre die Kaiserkrone getragen 
hatte. Sein Andenken wird in Deutschland nie erlöschen.
	        
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