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Serbien nicht im Stich lassen“ nach dem furchtbaren Verbrechen in
Serajewo nicht mehr verstehe. Ich sagte ihm schließlich, er möge, wenn
Deutschlands Streitmacht mobilisiert werde, sich nicht wundern.
Anlage 19.
Telegramm des Reichskanzlers an den Kaiserlichen Botschafter in Rom
vom 31. Juli 1914.
Fortgesetzt ist von uns zwischen Rußland und Oesterreich-Ungarn
sowohl durch direkten Depeschenwechsel Seiner Majestät des Kaisers mit
Seiner Majestät dem Zaren als auch im Benehmen mit Sir Edward Grey
vermittelt worden. Durch die Mobilisierung Rußlands sind jedoch alle
unsere Bemühungen sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Trotz
beruhigender Versicherungen trifft Rußland allen uns zugegangenen Nach-
richten zufolge so weitgehende Maßnahmen auch gegen uns, daß die Lage
immer bedrohlicher wird.
Anlage 20.
I. Seine Majestät an den Zaren.
1 28. Juli 10.45 p. m.
Mit der größten Beunruhigung höre ich von dem Eindruck, den
Oesterreich-Ungarns Vorgehen gegen Serbien in Deinem Reiche her-
vorruft: Die skrupellose Agitation, die seit Jahren in Serbien getrieben
worden ist, hat zu dem empörenden Verbrechen geführt, dessen Opfer
Erzherzog Franz Ferdinand geworden ist. Der Geist, der die Serben
ihren eigenen König und seine Gemahlin morden ließ, herrscht heute noch
in jenem Lande. Zweifellos wirst Du mit mir darin übereinstimmen,
daß wir beide, Du und ich sowohl, als alle Souveräne ein gemeinsames
Interesse daran haben, darauf zu bestehen, daß alle diejenigen, die für
den scheußlichen Mord moralisch verantwortlich sind, ihre verdiente Strafe
erleiden.
Andererseits übersêhe ich keineswegs, wie schwierig es für Dich und
Deine Regierung ist, den Strömungen der öffentlichen Meinung entgegenzu-
treten. Eingedenk der herzlichen Freundschaft, die uns beide seit langer Zeit
mit festem Band verbindet, setze ich daher meinen ganzen Einfluß ein, um
Oesterreich-Ungarn dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Ver-
ständigung mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen können, zu
beseitigen, unterstützen wirst. '
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
Anlage 21.
II. Der Zar an Seine Majestät.
Petershof. Palais, 29. Juli 1p. m.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist. In diesen so ernsten
Augenblick bitte ich Dich inständig mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist
an ein schwaches Land erklärt worden, die Entrüstung hierüber, die ich völlig
teile, ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald dem
Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr werde widerstehen können