Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

862. Die Gemeinden. 149 
Die Gemeindevertretung, gewissermaßen die beschließende Gewalt der Ge— 
meinde, wird gebildet in den mittleren Gemeinden und in den Städten der Städteordnung 
durch den Bürgerausschuß, in den kleineren Gemeinden durch die Gemeindever- 
sammlung, d. i. die Versammlung aller Gemeindebürger, deren Bürgerrecht nicht ruht. 
Der Bürgerausschuß besteht, außer den ebenfalls dazu gehörigen Mitgliedern 
des Gemeinderaths (Stadtraths), in den mittleren Gemeinden je nach der Anzahl der Wahl- 
berechtigten aus 24— 96, in den Städten der Städteordnung je nach der Anzahl der Stadt- 
bürger aus 48—96 in geheimer Stimmgebung gewählten Mitgliedern, in den Städten der 
Städteordnung Stadtverordneten genannt. 
Behufs der Wahl werden in den mittleren Gemeinden die wahlberechtigten Bürger 
und Einwohner nach Maßgabe der in den Gemeindekataster gehörigen Steuerkapitalien, 
ebenso in den Städten der Städteordnung die Stadtbürger nach der Höhe der von ihnen 
zu entrichtenden Gemeindeumlagen in drei Klassen eingetheilt. In den mittleren Gemeinden 
von 4000 und mehr Einwohnern und ebenso in den Städten der Städteordnung umfaßt 
die Klasse der Höchstbesteuerten das erste Zwölftel, die der Mittelbesteuerten die beiden fol- 
genden Zwölftel, die der Niederstbesteuerten die übrigen neun Zwölftel der Wahlberechtigten. 
In den mittleren Gemeinden zwischen 1000 und 4000 Einwohnern sind die Klassen 
nach ½, ½ und ½, in jenen zwischen 500 und 1000 Einwohnern zu ½, ½ und ⅜ 
der Wahlberechtigten eingetheilt. 
Wählbar sind, mit geringen Ausnahmen, alle Wahlberechtigten; jeder Gewählte ist, 
abgesehen von den im Gesetze bezeichneten Ablehnungsgründen, zur Annahme der Wahl 
verpflichtet. Das Amt eines Mitgliedes des Bürgerausschusses dauert sechs Jahre. Die 
Erneuerung findet alle drei Jahre zur Hälfte statt. Eine Dienstentlassung von Mitgliedern 
des Bürgerausschusses kennt das Gesetz nicht ½. 
Der Bürgerausschuß ist nicht etwa dem Gemeinderath (Stadtrath) übergeordnet in 
der Art, daß der letztere von jenem Weisungen erhalten und zu bestimmten Verwaltungs- 
handlungen gezwungen werden könnte. Seine Aufgabe ist wesentlich die, die Verwaltungs- 
thätigkeit des Gemeinderaths (Stadtraths) durch seine Theilnahme an bestimmten Akten 
desselben und durch seine Einsichtznahme von der Gemeindeverwaltung im Allgemeinen stets 
im Einklange mit dem Interesse der gesammten örtlichen Einwohnerschaft zu erhalten. Er 
soll den Gemeinderath (Stadtrath) ebenso unterstützen, wie kontroliren. Es kann deshalb 
eine Reihe von, in dem Gesetze einzeln bezeichneten, Beschlüssen des Gemeinderathes (Stadt- 
rathes) nur dann zum Vollzuge kommen, wenn der Bürgerausschuß ihnen zugestimmt hat. 
Zu diesen Beschlüssen gehören insbesondere jene über die Feststellung des Gemeindevor- 
anschlages und über die Gemeindebesteuerung. 
Uebereinstimmend hiermit ist in jener Versammlung die gestellte Gemeinderechnung 
zu verkünden und zu besprechen, auch in den Städten der Städteordnung und in anderen Ge- 
meinden von 4000 und mehr Einwohnern die Rechnungsabhör durch eine Kommission 
des Bürgerausschusses (mit Vorbehalt der Uebertragung derselben an die Staatsbehörde) zu 
besorgen und der Rechnungsbescheid vom Bürgerausschuß zu ertheilen?). 
Im Einklang mit dieser Stellung des Bürgerausschusses werden dessen Versamm- 
lungen vom Bürgermeister (Oberbürgermeister) geleitet und hat derselbe in den mittleren 
Gemeinden keinen Vorstand. In den Städten der Städteordnung ist dem Bürgerausschuß 
— unbeschadet übrigens des Grundsatzes, daß auch die Mitglieder des Stadtrathes als solche 
ihm angehören — eine größere Selbstthätigkeit und Initiative eingeräumt und hat der- 
selbe zur Vorbereitung seiner Geschäfte — nicht aber zur regelmäßigen Leitung seiner Ver- 
sammlungen — einen geschäftsleitenden Vorstand mit einem Obmann an der Spitze. 
1) Das. 8§ 33—43. 2) Das. 88 56 s, 154, 172c.
	        
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