877. Das staatliche Zwangsrecht gegen die Person. 177
die Verwirklichung des Staatswillens im Auge haben und sich nur innerhalb der vom Ge-
setze vorgezeichneten Schranken bewegen. Allein während bei der fürsorgenden Thätigkeit
die Vollziehung, behufs der Herbeiführung eines bestimmten Zustandes, handelt und bei
diesem Handeln sich durch die stete Erwägung leiten läßt, wie die Staatsziele am zweck-
mäßigsten zu erreichen seien, hat sie in denjenigen Fällen, wo die gestörte Rechtsordnung
wiederherzustellen ist, lediglich zu finden und auszusprechen, was Rechtens ist, wie folgeweise
der Zustand sein muß, damit er der Rechtsordnung entspreche. Diese Art von Thätigkeit,
die rechtsprechende, beruht rein auf logischer Schlußfolgerung und schließt jedes Belieben aus.
Von dieser rechtsprechenden Staatsthätigkeit, soweit sie im Rahmen des Landes-
staatsrechts zu behandeln ist, ist schon oben (6§ 47, 50) die Rede gewesen; ebenso vom
Verfahren bei den Verwaltungsbehörden.
Der Form nach erscheint die Vollziehung — abgesehen von der unter § 70 erwähnten
Vollzugsverordnung — entweder als auf einen einzelnen bestimmten Fall sich beziehende An-
ordnung, die bei den Gerichten, wenn sie eine Endentscheidung enthält, den Charakter
des Urtheiles trägt, oder als unmittelbares eigenes Handeln.
Zur Durchführung ihres gesetzlichen Willens steht der Staatsgewalt, eben weil sie
Gewalt ist, das Recht des Zwanges zu, dieser kann sich richten gegen die Person oder
gegen das Vermögen des Betheiligten.
§ 77. II. Das staatliche Zwangsrecht gegen die Person. Da die mit der Vollziehung
betraute Behörde die Aufgabe hat, den Willen des Staates zur Geltung zu bringen, so muß
ihr auch das Recht zustehen, den dem Staatswillen widerstrebenden Einzelwillen nöthigen-
falls zu brechen, d. i. den Staatswillen mit Zwang durchzuführen. Dieser besteht theils in
Einwirkung auf den Willen des Einzelnen durch Strafdrohung und Strafvollziehung, theils
in unmittelbarer Vollziehung des vom Staatswillen Gebotenen ohne und selbst gegen den
Willen des Einzelnen. Die Behörden, welchen diese Zwangsgewalt zusteht, die Voraus-
setzungen, unter welchen ein Zwang stattfinden darf, die Formen und zulässigen Arten des-
selben, sind vom Gesetz bestimmt. Mit einer Strafe kann eine Handlung nur dann belegt
werden, wenn ein Gesetz dieselbe mit Strafe bedroht und wenn diese Strafe gesetzlich be-
stimmt war, bevor die Handlung begangen wurde 1). Der Ausspruch einer solchen darf
nur erfolgen durch die nach Maßgabe der Gerichtsverfassung und der hierzu erlassenen Voll-
zugsgesetze hierfür zuständige richterliche oder ausnahmsweise mit richterlicher Funktion
bekleidete Behörde nach vorausgegangenem vorschriftsmäßigem Verfahren. Selbst Ordnungs-
strafen d. h. kleinere Bußen zu dem Zweck, die Einzelnen zur Beobachtung gewisser Form-
vorschriften anzuhalten, dürfen nur auf Grund und nach Maßgabe eines Gesetzes verfügt
werden?).
Mit Strafzwangsgewalt in diesem Sinne ausgerüstet sind außer den Strafgerichten,
je innerhalb ihrer Thätigkeitsgebiete, die Polizeibehörden (Staatspolizeibehörden und Bürger-
meister), die Eisenbahnbetriebs-, die Hafen= und die Finanzbehörden 3).
Die Zwangsgewalt als Recht, die Exekution zu verfügen und durchzuführen, steht
jeder Behörde zu, sofern und soweit ihr organisationsmäßig das Recht des Befehles an
den Einzelnen und des Befehlsvollzugs, nicht blos das der Feststellung, der Begutachtung
oder der Lehre, zukommt, sonach in erster Reihe den Gerichten und — als Verwaltungs-
zwang — den Exekutivbehörden der inneren Verwaltung, d. i. den Bezirksämtern. Aus-
nahmsweise kommt es den Verwaltungsgerichten nicht zu. Deren Urtheile, soweit sie die
innere Verwaltung betreffen, werden durch die Behörden der Verwaltung vollstreckt ).
1) R. Str. G. B. S2. 2) V. U. § 65
3) §§ 124—140 d. Ges. v. 3. März 1879, die Einführung der Reichsustiggesetze im Groß-
herzogthum Baden betr., C. u. V.Vl. Nr. X. S. 91. 4) V. R.Pfl.G. § 45
Handbuch des Oeffentlichen Rechts. III. 2. Aufl. Baden. 12